Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Pflicht zur Amtszustellung vollstreckbarer Vergleichsbeschlüsse nach § 278 Abs. 6 ZPO. Anordnung einer Amtszustellung nach pflichtgemäßem Ermessen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Amtszustellung von Vergleichsbeschlüssen nach § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO mit vollstreckungsfähigem Inhalt ist nicht gemäß § 329 Abs. 3 Alt. 1 ZPO geboten.
2. Das Gericht kann die Amtszustellung gemäß § 166 Abs. 2 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen anordnen. Im Erst-recht-Schluss zu § 750 Abs. 1 Satz 2, Halbs. 1 ZPO ist in diesem Fall die Amtszustellung ebenso vollstreckungswirksam wie die Parteizustellung.
Normenkette
ZPO § 166 Abs. 2, § 278 Abs. 6, § 329 Abs. 3, § 750 Abs. 1; BGB § 779; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Wesel (Entscheidung vom 05.01.2022; Aktenzeichen 6 Ca 952/21) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wesel vom 05.01.2022 - 6 Ca 952/21 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 500,00 €.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle für einen Vergleichsbeschluss gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO mit vollstreckungsfähigem Inhalt die Zustellung von Amts wegen.
Mit Beschluss vom 02.11.2021 (Bl. 49 f. GA) stellte das Arbeitsgericht das Zustandekommen eines von der Klägerin vorgeschlagenen und von dem Beklagten konsentierten Vergleichs gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO fest. Der Beschluss wurde beiden Parteien vom Gericht formlos übermittelt. Mit Schreiben vom 08.11.2021 bat die Klägerin um Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nebst Zustellungsvermerks (Bl. 55 GA). Nach einem Hinweis der Geschäftsstelle, dass eine Zustellung von Vergleichen im Parteibetrieb erfolge, bat die Klägerin insoweit um rechtsmittelfähigen Bescheid (Bl. 59 GA).
Mit Beschluss vom 25.11.2021 lehnte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Antrag auf amtswegige Zustellung des gerichtlichen Vergleichs ab (Bl. 61 f. GA). Der Erinnerung der Klägerin vom gleichen Tage (Bl. 65 f. GA) half er mit Beschluss vom 21.12.2021 nicht ab und legte die Sache der Richterin zur Entscheidung vor (Bl. 76 GA).
Mit Beschluss vom 05.01.2022 hat das Arbeitsgericht die Erinnerung der Klägerin zurückgewiesen (Bl. 77 f. GA). Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde vom 06.01.2022, der das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 13.01.2022 nicht abgeholfen hat.
II.Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig. Einer Mindestbeschwer, wie sie § 78 Satz 1 ArbGG iVm. § 567 Abs. 2 ZPO nur für Kostenbeschwerden vorschreibt, bedarf es nicht. Die Klägerin hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis zur Durchsetzung einer etwaig gebotenen Amtszustellung. Die gemäß § 750 Abs. 1 Satz 2, Halbs. 1 ZPO bestehenden Möglichkeit, den Titel für Zwecke der Zwangsvollstreckung auch im Parteibetrieb zuzustellen, ist mit Kosten verbunden, deren Einbringung im Wege der Zwangsvollstreckung ungewiss ist.
Die sofortige Beschwerde ist aber unbegründet. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat zu Recht eine amtsseitige Zustellung des Vergleichsbeschlusses abgelehnt. Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 05.01.2022 ist daher nicht zu beanstanden.
1.Gemäß § 750 Abs. 1 ZPO darf die Zwangsvollstreckung nur beginnen, wenn die Personen, für und gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil oder in der ihm beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind und das Urteil bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird. Eine Zustellung durch den Gläubiger genügt (Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1). Dies gilt für alle Vollstreckungstitel (Zöller/Seibel ZPO 34. Aufl. 2022, § 750 Rn. 16) und somit auch für gerichtliche Vergleiche.
Gemäß § 166 Abs. 1 ZPO ist Zustellung die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in §§ 166 bis 195 ZPO bestimmten Form. Gemäß Abs. 2 der Norm sind Dokumente, deren Zustellung vorgeschrieben oder vom Gericht angeordnet ist, von Amts wegen zuzustellen, soweit nicht anderes bestimmt ist. Gemäß § 191 ZPO finden die Vorschriften über die Zustellung von Amts wegen nach Maßgabe der §§ 192 bis 195 ZPO entsprechende Anwendung, wenn eine Zustellung auf Betreiben der Parteien zugelassen oder vorgeschrieben ist.
§ 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO sieht als Grundsatz vor, dass alle nicht zu verkündenden Beschlüsse den Parteien formlos mitzuteilen sind. Die Ausnahmen hiervon ergeben sich aus § 329 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 ZPO. Danach bedürfen zum einen diejenigen Beschlüsse der Zustellung, die eine Terminbestimmung oder eine Fristsetzung enthalten (Abs. 2 Satz 2). Zum anderen sind zuzustellen "Entscheidungen, die einen Vollstreckungstitel bilden oder die der sofortigen Beschwerde oder der Erinnerung nach § 573 Abs. 1 unterliegen" (Abs. 3).
2.Ob Beschlüsse iSd. § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO, gegen die nach allgemeiner Meinung kein Rechtsmittel statthaft ist ( Zöller/Greger 34. Aufl. 2022, ZPO § 278 Rn. 35a), die aber einen Vollstreckungstitel verkörpern, gemäß § 329 Abs. 3 ZPO von Amts wegen zuzustellen sind, ist umstritten.
Zum Teil wird das ...