Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Unterlassungsverfügung zur Sicherung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei geplanter Betriebsänderung. Unterlassungsanspruch gegen alle Betriebsarbeitgeber bei Gemeinschaftsbetrieb. Nach Abschluss der Betriebsänderung gewählter Betriebsrat nicht beteiligungsfähig. Gewichtiger Verfügungsgrund für Sicherungsinteresse. Bemessung des gewichtigen Verfügungsgrunds anhand der Arbeitnehmerinteressen. Zulässigkeit objektiver Antragserweiterung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Unterlassungsverfügung zur Sicherung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus §§ 111, 112 BetrVG auf Unterrichtung, Beratung und Verhandlung über eine geplante Betriebsänderung kommt gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 935, 940, 938 Abs. 1, 2 ZPO schon aus europarechtlichen Gründen grundsätzlich in Betracht.
2. In einem Gemeinschaftsbetrieb richtet sich der Anspruch aus §§ 111, 112 BetrVG gegen sämtliche Betriebsarbeitgeberinnen. Diese sind im Verfügungsverfahren zu beteiligen. Dagegen richtet sich die als Sicherungsmaßnahme begehrte Untersagung von Entlassungen gegen den jeweils betroffenen Vertragsarbeitgeber, der allein die Entlassung bewirken kann.
3. Einem Betriebsrat, der erst zu einem Zeitpunkt gewählt wird, zu dem die Planung über die Betriebsänderung bereits abgeschlossen und mit der Durchführung des Planes begonnen worden ist, stehen die Ansprüche aus §§ 111 ff. BetrVG nicht zu. Es bleibt offen, ob beim Übergang von kirchlicher Einrichtung zu weltlichem Träger die vormalige kirchliche Mitarbeitervertretung bis zur Wahl eines Betriebsrats ein Übergangsmandat hat.
4. Ist das Bestehen des Beteiligungsrechts ungewiss und führt schon seine bloße Sicherung zu Rechtsbeeinträchtigungen des Anspruchsgegners, erfordert der Erlass einer Sicherungsverfügung über die bloße Gefahr des Untergangs des Beteiligungsrechts hinaus einen besonderen Verfügungsgrund. Dieser muss von solchem Gewicht sein, dass er die erst im Hauptsacheverfahren endgültig zu klärende Ungewissheit über den Verfügungsanspruch kompensieren kann.
5. Das Gewicht des Verfügungsgrundes bemisst sich insbesondere nach dem mit dem Beteiligungsrecht bezweckten Schutz der Arbeitnehmer. Es wird hier dadurch gemindert, dass das Beteiligungsrecht nach §§ 111, 112 BetrVG auf den bloßen Versuch eines Interessenausgleichs gerichtet ist. Hinzu tritt, dass der Betriebsrat gemäß § 100 ArbGG die Möglichkeit hat, Beratungen und Verhandlungen über einen Interessenausgleich initiativ vor die Einigungsstelle zu bringen. Zu berücksichtigen ist ferner im Rahmen einer Folgenabwägung, dass ein Ersatzanspruch des Arbeitgebers aus § 945 ZPO für das Beschlussverfahren gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG ausgeschlossen ist.
6. Zur Zulässigkeit einer objektiven und subjektiven Antragserweiterung im Beschwerderechtszug.
Normenkette
BetrVG §§ 111-112; ArbGG § 2 Abs. 3, § 85 Abs. 2, § 100; ZPO §§ 533, 935, 938 Abs. 1, §§ 2, 940, 945; KSchG § 17
Verfahrensgang
ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 18.11.2020; Aktenzeichen 3 BVGa 3/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 18.11.2020 - 3 BVGa 3/20 - wird zurückgewiesen.
Gründe
A. Der antragsstellende Betriebsrat (Beteiligter zu 1.) begehrt zur Wahrung seines Verhandlungsanspruchs über einen Interessenausgleich gemäß §§ 111 ff. BetrVG von den zu 2) und 3) beteiligten Arbeitgeberinnen im Wege der einstweiligen Verfügung, die Entlassung weiterer Arbeitnehmer wegen beabsichtigter Teilstilllegung einstweilen zu unterlassen.
Die Arbeitgeberinnen betreiben in P. drei Kliniken, drei Pflegezentren, ein Hospiz und ein Reha-Centrum in Form eines Gemeinschaftsbetriebes mit über 1.600 Mitarbeitern. Bis zum 30.04.2020 handelte es sich bei ihnen um Einrichtungen der Katholischen Kirche. Mit Wirkung zum 01.5.2020 wurden ihre Gesellschaftsanteile von einem Unternehmen der B.-Gruppe im Rahmen eines Insolvenzverfahrens übernommen. Die in der Schweiz ansässige B.-Gruppe betreibt seit vielen Jahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz diverse Gesundheitseinrichtungen.
Antragsteller ist der am 31.08.2020 für den Gemeinschaftsbetrieb gewählte Betriebsrat, der sich am 09.09.2020 in seiner ersten Sitzung konstituierte (im Folgenden: Betriebsrat). Zuvor hatte in dem Gemeinschaftsbetrieb eine Mitarbeitervertretung gemäß der Mitarbeitervertretungsordnung der Katholischen Kirche (MAVO) bestanden. Über ein "Übergangsmandat" der MAV hatten zwischen den Betriebspartnern Gespräche stattgefunden, deren Inhalt streitig ist. Die Unterzeichnung eines bereits ausgearbeiteten Entwurfs einer Dienst-/Betriebsvereinbarung hierüber lehnte die Arbeitgeberseite in der Regelkommunikation mit der Arbeitnehmervertretung am 16.06.2020 ab. Daraufhin wurde das Verfahren zur Wahl des Betriebsrats eingeleitet.
Mit E-Mail vom 27.07.2020 legte die Geschäftsleitung dem Betriebsrat ein Organigramm über die künftige Struktur des Gemeinschaftsbetriebs vor, das die dort unter dem Stichwort "Support" ...