Entscheidungsstichwort (Thema)
unter-/außertarifliche Vergütung nicht tarifgebundener Arbeitnehmer. Abänderbarkeit einer (tariflichen) Vergütungsordnung bei fortbestehenden Tarifbindung des Arbeitgebers
Leitsatz (amtlich)
Der weiterhin tarifgebundene Arbeitgeber ist rechtlich nicht gehindert, nach einem Stichtag neu einzustellende Arbeitnehmer, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, nach entweder keinem oder einem einseitig neu festgesetzten Vergütungsschema zu entlohnen, selbst wenn bis zum Stichtag allen neu eingestellten Arbeitnehmern unabhängig von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft der Tariflohn gewährt wurde. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG im Hinblick auf die Abänderung einer bestehenden Vergütungsordnung scheidet wegen der Regelungssperre des § 87 Abs. 1 Eingangsgesetz BetrVG aus (im Anschluss an BAG, Beschluss vom 30.01.1990 – 1 ABR 98/88, NZA 1990, 493).
Normenkette
BetrVG § 87 Abs. 1, § 99 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Duisburg (Beschluss vom 16.09.2009; Aktenzeichen 5 BV 65/09) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Betriebsrats (Antragstellers) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Duisburg vom 16.09.2009 – 5 BV 65/09 – wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, auch bei Neueinstellungen von nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern diese nach dem Lohn- bzw. Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel einzugruppieren.
Der Arbeitgeber (Beteiligter zu 2.) betreibt ein Unternehmen des Einzelhandels mit Filialen im gesamten Bundesgebiet. Der Antrag stellende Beteiligte zu 1) ist der für den Bezirk E. I gebildete Betriebsrat.
Der Arbeitgeber ist über einen mit der Gewerkschaft ver.di bzw. deren Rechtsvorgängerinnen (Gewerkschaften DAG und hbv) abgeschlossenen Anerkennungstarifvertrag aus dem Jahr 2000 an die jeweils gültigen Tarifverträge für den Einzelhandel in NRW gebunden. Es existiert eine ungekündigte „Betriebsvereinbarung Stellenausschreibungen gemäß § 93 BetrVG”, in der unter anderem wie folgt bestimmt ist:
„Die Ausschreibung beinhaltet folgende Anforderungen und Grundsätze:
a) Bezeichnung und Beschreibung der zu besetzenden Position
…
e) Hinweis Vergütung gemäß Tarifansprüche”
Ab dem 01.01.2009 lehnt es der Arbeitgeber im Gegensatz zur zuvor geübten Betriebspraxis ab, neu einzustellende Arbeitnehmer – egal welcher Funktion – nach Maßgabe des einschlägigen Lohn- und Gehaltstarifvertrags einzugruppieren, soweit diese nicht persönlich tarifgebunden sind. Stattdessen werden der Lohnfindung individuelle Kriterien wie etwa die zuvor erworbene Berufserfahrung zugrunde gelegt. Der Arbeitgeber hört den Betriebsrat in diesen Fällen nicht mehr zur Eingruppierung an, sondern teilt ihm lediglich die absolute Höhe des (untertariflichen) Entgelts des einzustellenden Mitarbeiters mit.
Der Betriebsrat hat gemeint, der Arbeitgeber sei an die durch die Entgelttarifverträge des Einzelhandels NRW geprägte Vergütungsordnung gebunden. Jede Abweichung hiervon beinhalte einen Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr.10 BetrVG.
Der Betriebsrat beantragt,
- der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, bei Neueinstellungen von Arbeitnehmern keine Eingruppierung nach dem Gehaltstarifvertrag Einzelhandel NRW vorzunehmen,
- für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1 ein Ordnungsgeld anzudrohen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Der Arbeitgeber hat das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs bestritten, weil es keine generelle Vergütungsordnung im Betrieb gebe. Das Begehren des Betriebsrats betreffe im Übrigen die Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten.
Mit Beschluss vom 16.09.2009 hat das Arbeitsgericht die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen. Der Antrag zu 1) sei bereits unzulässig, da der Betriebsrat das Unterlassen eines Unterlassens geltend mache. Als Leistungsantrag ausgelegt sei dieser unbegründet. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bestehe im vorliegenden Fall wegen der Regelungssperre des Eingangssatzes des § 87 Abs. 1 BetrVG nicht, denn der Arbeitgeber sei über den Anerkennungstarifvertrag weiterhin tarifgebunden. Auch auf § 23 Abs. 3 BetrVG könne sich der Betriebsrat nicht stützen. Zum einen erfasse der Globalantrag des Betriebsrats Fallkonstellationen, in denen – wie etwa bei der Neueinstellung von AT-Mitarbeitern – der Anspruch des Betriebsrats von vornherein ins Leere ginge. Zum zweiten bestehe generell keine Verpflichtung eines Arbeitgebers, auch alle künftig eintretenden Arbeitnehmer tariflich einzugruppieren, nur weil dies in der Vergangenheit bei allen Mitarbeitern, organisierten wie nicht organisierten, generell so praktiziert worden sei. Weder der Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitarbeiter noch eine bestehende betriebliche Übung noch die Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 2001 hindere den Arbeitgeber daran, über ei...