Entscheidungsstichwort (Thema)

unter-/außertarifliche Vergütung nicht tarifgebundener Arbeitnehmer. Abänderbarkeit einer (tariflichen) Vergütungsordnung bei fortbestehenden Tarifbindung des Arbeitgebers

 

Leitsatz (amtlich)

Der weiterhin tarifgebundene Arbeitgeber ist rechtlich nicht gehindert, nach einem Stichtag neu einzustellende Arbeitnehmer, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind, nach entweder keinem oder einem einseitig neu festgesetzten Vergütungsschema zu entlohnen, selbst wenn bis zum Stichtag allen neu eingestellten Arbeitnehmern unabhängig von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft der Tariflohn gewährt wurde. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG im Hinblick auf die Abänderung einer bestehenden Vergütungsordnung scheidet wegen der Regelungssperre des § 87 Abs. 1 Eingangsgesetz BetrVG aus (im Anschluss an BAG, Beschluss vom 30.01.1990 – 1 ABR 98/88, NZA 1990, 493).

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1, § 99 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Beschluss vom 07.10.2009; Aktenzeichen 4 BV 28/09)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 18.10.2011; Aktenzeichen 1 ABR 34/10)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Arbeitgebers (Beteiligter zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 07.10.2009 – 4 BV 28/09 – abgeändert und der Feststellungsantrag zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, auch bei Neueinstellungen von nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern diese nach dem Lohn- bzw. Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel einzugruppieren.

Der Arbeitgeber (Beteiligter zu 2.) betreibt ein Unternehmen des Einzelhandels mit Filialen im gesamten Bundesgebiet. Der Antrag stellende Beteiligte zu 1) ist der für den Bezirk E. II (34 Verkaufsstellen mit insgesamt 134 Arbeitnehmern) gebildete Betriebsrat.

Der Arbeitgeber ist über einen mit der Gewerkschaft ver.di bzw. deren Rechtsvorgängerinnen (Gewerkschaften DAG und hbv) abgeschlossenen Anerkennungstarifvertrag aus dem Jahr 2000 an die jeweils gültigen Tarifverträge für den Einzelhandel in NRW gebunden.

Seit Herbst 2008 lehnt es der Arbeitgeber ab, neu einzustellende Arbeitnehmer – insbesondere Aushilfskräfte – nach Maßgabe des einschlägigen Lohn- und Gehaltstarifvertrags für den Einzelhandel NRW einzugruppieren, soweit diese nicht persönlich tarifgebunden sind. Stattdessen werden der Lohnfindung individuelle Kriterien wie etwa die zuvor erworbene Berufserfahrung zugrunde gelegt. Der Arbeitgeber hört den Betriebsrat in diesen Fällen nicht mehr zur Eingruppierung an, sondern teilt ihm lediglich die absolute Höhe des (untertariflichen) Entgelts des einzustellenden Mitarbeiters mit.

Mit undatiertem Schreiben lud die Betriebsratsvorsitzende H. alle sieben Betriebsratsmitglieder zu einer Sitzung am 07.01.2009 ein. Die Sitzung wurde in vollständiger Besetzung absolviert; Ersatzmitglieder nahmen nicht teil. Laut Sitzungsprotokoll beschloss das Gremium wie folgt:

„8. Beschluss: Der Betriebsrat beschließt einstimmig, ein Beschlussverfahren zur Feststellung einzuleiten, ob die Fa. T. bei Neueinstellungen gemäß Lohn- und Gehaltstarifvertrag NRW eingruppieren muss. Der Beschluss erfolgt gemäß § 99 BetrVG. Der Beschluss ist im Anhang des Protokolls ersichtlich.

9. Beschluss: Der Betriebsrat hat einstimmig beschlossen, für das Beschlussverfahren Rechtsanwältin B. L., N. ring 16, M. zu beauftragen. Der Beschluss erfolgt gemäß § 33 BetrVG in Zusammenhang mit § 99 BetrVG. Der Beschluss ist im Anhang des Protokolls ersichtlich.”

Der Betriebsrat hat behauptet, der Arbeitgeber habe bis Herbst 2008 alle neu eingestellten Arbeitnehmer, auch die nicht gewerkschaftlich organisierten, nach Maßgabe der Vergütungstarifverträge für den Einzelhandel NRW eingruppiert und diesen den Tariflohn gezahlt. Der Betriebsrat hat gemeint, der Arbeitgeber sei an die so geschaffene Vergütungsordnung gebunden. Der Tarifvertrag sehe keine Schlechterstellung von Aushilfskräften vor. Solange er, der Betriebsrat, seine Zustimmung nicht erteilt habe oder diese durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt sei, beinhalte jede Abweichung von der Vergütungsordnung einen Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr.10 BetrVG.

Der Antragsteller hat beantragt,

festzustellen, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, auch bei nur kurzen befristeten Einstellungen von Mitarbeitern, sogenannten „Aushilfen” eine Eingruppierung in den Lohn- und Gehaltstarifvertrag des Einzelhandels für Nordrhein-Westfalen vorzunehmen, solange nicht eine Ablösung durch Betriebsvereinbarung zustande gekommen ist oder ein Spruch der Einigungsstelle.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Arbeitgeber hat bestritten, auch in der Vergangenheit sämtliche neu eingestellten Mitarbeiter nach Maßgabe der Vergütungstarifverträge für den Einzelhandel eingruppiert zu haben. Gerade für Aushilfskräfte sei dies nicht geschehen. So oder so sei er nicht gehindert, eine etwa bisher geübte Praxis zu ändern...

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