Entscheidungsstichwort (Thema)

Vermögensrechtliche Art einer Anfechtung eines Sozialplans. Billiges Ermessen bei Gegenstandswert einer Anfechtungsklage. Mehrvolumen eines neuen Sozialplans als Gegenstandswert. Keine Anwendung des § 23 Abs. 3 S. 2 RVG bei Anfechtung eines Sozialplans wegen Unterdotierung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Streitgegenstand der Anfechtung eines Sozialplans ist idR vermögensrechtlicher Art.

2. Im Falle einer Anfechtung wegen Unterdotierung ist der Gegenstandswert des Anfechtungsverfahrens idR nach billigem Ermessen unter Heranziehung sonstiger Umstände zu bestimmen, da er nicht iSv. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG anderweitig feststeht oder geschätzt werden kann (BAG 20.07.2005 - 1 ABR 23/03 (A)).

3. Maßgeblich dürfte das objektiv zu erwartende maximale Mehrvolumen eines neuen Sozialplans sein. Dies kann bei Insolvenznähe des Unternehmens dazu führen, dass die Höchstgrenze von 500.000,00 € gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbs. RVG nicht erreicht wird.

 

Normenkette

RVG § 23 Abs. 3 S. 2; ArbGG § 2a; InsO § 123 Abs. 1 S. 1; RVG § 23 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 27.12.2021; Aktenzeichen 4 BV 20/21)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 27.12.2021 teilweise abgeändert.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird gemäß § 33 RVG auf 100.000,00 € festgesetzt.

Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben eine Gebühr von 55,00 € zu tragen.

 

Gründe

I.Die Beschwerdeführer begehren als Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats in dem zugrundeliegenden Beschlussverfahren 4 BV 20/21 (ArbG Wuppertal) die Festsetzung eines höheren Gegenstandswerts.

In dem Verfahren beantragte der Betriebsrat die Feststellung der Unwirksamkeit eines durch Einigungsstellenspruch beschlossenen Sozialplans wegen Unterdotierung. Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin ist ein konzernangehöriges Unternehmen und befasst sich mit U. technik. Sie beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb in S. ca. 283 Arbeitnehmer. Die Tarifverträge der Eisen- und Stahlindustrie NRW finden Anwendung. Wegen eines Personalabbaus von ca. 130 Arbeitnehmern beschloss die Einigungsstelle durch Spruch mit den Stimmen der Arbeitgeberin einen Sozialplan mit einem Volumen von 1,2 Mio € unter Hinweis auf die bestehende Überschuldung der Arbeitgeberin. Der Sozialplan wurde wesentlich von der Muttergesellschaft der Arbeitgeberin finanziert. Er bewegt sich dem Volumen nach knapp auf Höhe eines Sozialplans in der Insolvenz. Das Arbeitsgericht hat den Feststellungsantrag des Betriebsrats zurückgewiesen. Der Betriebsrat hat seine hiergegen gerichtete Beschwerde nachfolgend zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 27.12.2021 hat das Arbeitsgericht auf Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats den Gegenstandswert für das Verfahren auf 62.500,00 € festgesetzt. Es handele sich um eine nichtvermögensrechtliche Angelegenheit iSv. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, die hier mit dem 12,5-fachen Regelwert von 5.000,00 € zu bemessen sei.

Gegen den am 28.12.2021 zugestellten Beschluss wenden sich die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrat mit ihrer am 10.01.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Beschwerde und machen geltend, dass der Gegenstandswert auf 500.000,00 € hätte festgesetzt werden müssen. Es handele sich entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Die Beschwerdeführer tragen - unbestritten - vor: Der Betriebsrat habe in der Einigungsstelle ein Sozialplanvolumen von 9 Mio € beantragt. In den Verhandlungen hatte die Arbeitgeberin angeboten, das von ihr vorgeschlagene Sozialplanvolumen von 1,2 Mio € um mehr als 500.000,00 € zu erhöhen, wenn der Betriebsrat der Einführung einer Prämienlohnregelung im Betrieb zustimme. Die Beschwerde meint, unter diesen Umständen könne ein geringerer Gegenstandswert als der Höchstwert gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG von 500.000,00 € nicht angenommen werden.

Die Arbeitgeberin macht demgegenüber geltend, die Vorstellungen des Betriebsrats über die Dotierung des Sozialplans könnten für die Festsetzung des Gegenstandswerts nicht maßgeblich sein. Sie bildeten insbesondere keine feste Größe, aus der sich ein "feststehender" Gegenstandswert iSv. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG errechnen ließe. Auf die Forderung des Betriebsrats könne es auch sonst nicht ankommen. Anderenfalls würde der in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG genannte Höchstwert zum Regelwert. Dies laufe der dem Gesetz zugrundeliegenden Tendenz zur Begrenzung des Streitwerts in arbeitsgerichtlichen Verfahren zuwider. Anderenfalls bedürfe es nach dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit einer Begrenzung der Sozialplanforderungen des Betriebsrats im Hinblick auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Arbeitgeberin.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 20.01.2022 nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt. Bei der gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG gebotenen Berücksichtigung billigen Ermesse...

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