Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachwirkung betriebsverfassungsrechtlicher Tarifnormen. Beendigung der Nachwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Betriebsverfassungsrechtliche Normen eines Tarifvertrages entfalten Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG. Eine Nachwirkung kann grundsätzlich durch den Abschluß eines anderen Tarifvertrages beendet werden.
2. Nachwirkende betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen erfassen regelmäßig auch die Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis erst im Nachwirkungszeitraum begrÜndet worden ist.
3. Die Nachwirkung eines Tarifvertrages endet nicht allein durch Zeitablauf.
4. Eine Beendigung der Nachwirkung eines Tarifvertrages setzt jedenfalls voraus, daß die Tarifvertragsparteien erfolglos versucht haben, den nachwirkenden Tarifvertrag durch eine andere Abmachung zu ersetzen.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Beschluss vom 06.12.1996; Aktenzeichen 3 BV 114/96) |
Tenor
1) Auf die Beschwerde des Gesamtbetriebsrates wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 06.12.1996 – 3 BV 114/96 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
- Auf den Hilfsantrag des Gesamtbetriebsrates wird festgestellt ihm im Hinblick auf künftige Rationalisierungsmaßnahmen die in §§ 3 und 4 des Tarifvertrages vom 17.05.1971 aufgeführten Mitwirkungsrechte zustehen.
- Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
2) Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
3) Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
A.
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob betriebsverfassungsrechtliche Normen eines gekündigten Tarifvertrages nachwirken.
Die Antragsgegnerin (nachfolgend „Arbeitgeber” genannt) ist ein Unternehmen, das unter anderem städtebauliche und wohnungswirtschaftliche Aufgaben wahrnimmt sowie Maßnahmen der Standortentwicklung und der Strukturpolitik durchführt. Antragsteller ist der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat.
Am 17.05.1971 schlossen der Arbeitgeber einerseits, die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen Landesbezirksleitung NRW sowie die Deutsche Angestelltengewerkschaft, Landesverband NRW, andererseits einen Tarifvertrag zur Abwendung sozialer Härten bei Rationalisierungsmaßnahmen (im folgenden „RSA” genannt). Im RSA wurden unter anderem folgende Regelungen getroffen:
§ 2 Begriffsbestimmungen
Rationalisierungsmaßnahmen im Sinne dieser Vereinbarung sind geplante Betriebsänderungen, die Nachteile für Beschäftigte nach § 1 Abs. 2 zur Folge haben und zu sozialen Härten führen kÖnnen. Soziale Härten sind Auswirkungen auf Beschäftigte infolge wirtschaftlicher, technischer oder organisatorischer Maßnahmen, die eine materielle Schlechterstellung herbeiführen.
Als Betriebsänderungen gelten insbesondere:
- Einschränkung und Stillegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen;
- Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen;
- Zusammenschluß mit anderen Betrieben;
- Änderungen des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen;
- Einführung neuer Arbeitsmethoden.
§ 3 Zusammenwirken von Geschäftsführung und Betriebsrat
Die Geschäftsführung hat den Betriebsrat, bei Maßnahmen über den Bereich eines Betriebes hinaus den Gesamtbetriebsrat, rechtzeitig unter Vorlage aller Unterlagen über geplante Rationalisierungsmaßnahmen zu unterrichten.
Vor der Entscheidung über die Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen muß die Stellungnahme des Betriebsrates bzw. Gesamtbetriebsrates der Geschäftsführung vorliegen. Gesetzliche Regelungen bleiben unberührt. Enthält die Stellungnahme Bedenken gegen die Durchführung, so ist auf Antrag des Betriebsrates ein Planungsausschuß einzusetzen.
§ 4 Planungsausschuß
Der Planungsausschuß ist zu bilden aus:
2 Vertretern der Geschäftsführung
2 Betriebsratsmitgliedern.
Zu den Sitzungen des Ausschusses können Vertreter der von den Rationalisierungsmaßnahmen betroffenen Abteilungen beratend hinzugezogen werden.
Der Ausschuß wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und einen stellvertretenden Vorsitzenden.
Aufgabe des Planungsausschusses ist es zu prüfen, ob die geplante Maßnahme wirtschaftlich notwendig ist. Er hat insbesondere die sich aus der Maßnahme ergebenden Veränderungen im personellen Bereich zu ermitteln.
Wird im Bereich eine Übereinstimmung erzielt, so ist das Beratungsergebnis der Geschäftsführung und dem Betriebsrat zuzuleiten.
Kommt es im Planungsausschuß nicht zu einer Übereinstimmung, dann ist der Sachstand der Geschäftsführung und dem Betriebsrat mitzuteilen. Diese versuchen eine Übereinstimmung zu erzielen.
Sofern Geschäftsführung und Betriebsrat eine Übereinstimmung in diesem Sinne nicht erzielen, ist die Einigungsstelle nach § 50 BetrVG anzurufen, die verbindlich entscheidet.
§ 11 Laufzeit und Kündigung
Dieser Vertrag kann von den Vertragsparteien erstmalig zum 31. Dezember 1975 mit einer Frist von 1 Jahr gekündigt werden; von da an jeweils mit 12-monatiger Frist zum Schluß eines Kalenderjahres.
Nach Wirksamwerden der Kündigung gelten die Bestimmungen dieser Vereinbarung bis zu einer neuen Einigung weiter.
Nach Unterzeichnung des Vertrages bedürfen Änder...