Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer durchgeführten Betriebsratswahl hinsichtlich Wahlanfechtung wegen fehlender Informationen für beschäftigte ausländische Arbeitnehmer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die im Betrieb beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer sind der deutschen Sprache iSv. § 2 Abs 5 der Wahlordnung zum BetrVG mächtig, wenn ihre Deutschkenntnisse ausreichen, um die zum Teil komplizierten Wahlvorschriften und den Inhalt eines Wahlausschreibens verstehen zu können. Das folgt aus dem Zweck der Vorschrift, ausländischen Arbeitnehmern in gleicher Weise wie deutschen Arbeitnehmern die Wahrnehmung ihres aktiven und passiven Wahlrechts zu ermöglichen.

2. Angesichts des Gesetzeszwecks dürfen die für die Beurteilung einer hinreichenden Sprachkompetenz maßgeblichen betrieblichen Verhältnisse nicht auf das Arbeitsumfeld und die im Zusammenhang mit der Durchführung des Arbeitsverhältnisses anfallenden Aufgaben und sprachlichen Anforderungen reduziert werden. Im Zweifelsfall muss der Wahlvorstand von unzureichenden deutschen Sprachkenntnissen ausgehen. Anlass dazu besteht jedenfalls dann, wenn ca. 15 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eines über 10.000 Wahlberechtigte umfassenden Betriebs unterschiedlichsten Sprachräumen entstammen.

 

Normenkette

BetrVG § 19 Abs. 1, § 2 Abs. 5, § 19 Abs. 1 S. 1 letzter Hs

 

Verfahrensgang

ArbG Duisburg (Entscheidung vom 24.04.2023; Aktenzeichen 1 BV 9/22)

 

Tenor

Die Beschwerden des Beteiligten zu 17. und der Beteiligten zu 18. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Duisburg vom 24.04.2023 - 1 BV 9/22 - werden zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer im Jahr 2022 durchgeführten Betriebsratswahl.

Die Beteiligte zu 18 (Arbeitgeberin) betreibt in Duisburg Hamborn/Beeckerwerth ein Stahlwerk mit ca. 13.300 wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen zumindest ca. 15 Prozent nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Bei dem Beteiligten zu 17 handelt es sich um den aus der strittigen Wahl hervorgegangenen und aus 39 Mitgliedern bestehenden Betriebsrat.

Mit Wahlausschreiben vom 07.02.2022 leitete der Wahlvorstand die strittige Wahl eines neuen Betriebsrats ein. In dem Wahlausschreiben hieß es unter anderem:

"Aushangorte des Wahlausschreibens und eine Information an anderssprachige Mitarbeiter entnehmen Sie bitte der Anlage 1 zum Wahlausschreiben."

Anlage 1 zum Wahlausschreiben war überschrieben mit "Information Fremdsprachen". Darin fand sich - wie bei der Betriebsratswahl im Jahr 2018 - tabellarisch gelistet in 14 verschiedenen Sprachen (Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Griechisch, Türkisch, Russisch, Kroatisch, Polnisch, Mazedonisch, Slowakisch, Slowenisch, Tschechisch und Italienisch) der folgende Hinweis:

"Wenn sich Fragen zu diesem Vorgang ergeben, wenden Sie sich umgehend an die unten aufgeführten Ansprechpartner."

Abgesehen von diesem Hinweis erfolgten keine weiteren fremdsprachigen Informationen über das Wahlverfahren, die Aufstellung der Wähler- und Vorschlagslisten, den Wahlvorgang oder die Stimmabgabe.

Die Wahl wurde zwischen dem 22.03.2022 und dem 01.04.2022 durchgeführt. Wegen der weiteren, für die Entscheidung über die Beschwerde nicht relevanten Details der Gestaltung des Wahlverfahrens und des Ablaufs der Wahl wird auf die Darstellung in der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen.

Das Wahlergebnis wurde am 02.04.2022 bekannt gegeben. Danach entfielen auf die Liste IG-Metall 30 Mandate, auf die Liste GoaL drei Mandate, auf die Liste "Interessengemeinschaft vor Ort" zwei Mandate, auf die "Belegschaftsliste" ein Mandat, auf die Liste "AfB - Alles für die Belegschaft" ein Mandat, auf die Liste "Stahlarbeiter" ein Mandat und auf die Liste "Mein Betriebsrat" ebenfalls ein Mandat. Sechs weitere Listen, die zur Wahl angetreten waren, erzielten kein Mandat. Die Beteiligten zu 3, 6 und 12 hatten auf der Liste "Interessengemeinschaft vor Ort" = Liste 6 und die Beteiligten zu 14 und 16 auf der Liste 4 "Alles für die Belegschaft" kandidiert.

Mit am 13.04.2022 beim Arbeitsgericht eingegangener Antragsschrift wurde die Betriebsratswahl zunächst von den vormaligen Beteiligten zu 1 bis 9 angefochten. Weitere Anfechtungsschriften wurden durch die vormaligen Beteiligten zu 10 bis 13 am 14.04.2022 und durch die vormaligen Beteiligten zu 14 bis 16 am 19.04.2022 beim Arbeitsgericht eingereicht. Die zunächst unter verschiedenen Aktenzeichen (1 BV 9/22, 2 BV 10/22 und 4 BV 11/22) geführten Verfahren wurden vom Arbeitsgericht am 03.05.2022 unter dem führenden Aktenzeichen 1 BV 9/22 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Neben weiteren, für die Beschwerdeentscheidung nicht relevanten Rügen haben die Antragsteller die Anfechtung der Betriebsratswahl damit begründet, dass der Wahlvorstand entgegen § 2 Abs. 5 der nach § 126 BetrVG erlassenen Wahlordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (WO) nicht dafür gesorgt habe, dass ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ...

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