Die Anfechtung einer Betriebsratswahl kann gemäß § 19 Abs.1 BetrVG beim Arbeitsgericht erfolgen. Voraussetzung hierfür ist, dass gegen wesentliche Vorschriften über
- das Wahlrecht,
- die Wählbarkeit oder
- das Wahlverfahren
verstoßen worden ist und keine Berichtigung erfolgt ist. Die Anfechtbarkeit ist ausgeschlossen, wenn das Wahlergebnis durch den Verstoß nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Eine Wahlanfechtung ist also nur bei wesentlichen Verstößen möglich.
Betriebsratswahl anfechten: Diese Fehler führen zur Anfechtung
Als Anfechtungsgrund gilt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften. Zwingende "Muss"-Vorschriften stellen regelmäßig solche wesentlichen Wahlvorschriften dar:
- Zulassung eines Nichtberechtigten zur Wahl (BAG vom 20.3.1996, Az. 7 ABR 46/95);
- Nichtzulassung von wahlberechtigten Arbeitnehmenden (BAG vom 25.6.1974, Az. 1 ABR 68/73);
- Berichtigung der Wählerliste durch den Wahlvorstand nach Ablauf der Einspruchsfrist ohne Vorliegen der in § 4 Abs. 3 WO genannten Voraussetzungen (BAG vom 27.1.1993, Az. 7 ABR 37/92);
- Fehlen einer Wählerliste oder der Wahlausschreibung (BAG vom 27.4.1976, Az. 1 AZR 482/75);
- Nichtbekanntgabe des Orts und Zeitpunkts der Stimmenauszählung (BAG vom 15.11.2000, Az. 7 ABR 53/99);
- Verkennung des Betriebsbegriffs (BAG vom 21.9.2011, Az. 7 ABR 54/10);
- Verstoß gegen Vorschriften zur Bestellung des Wahlvorstands (BAG vom 2.3.1955, Az. 1 ABR 19/54);
- Fehlerhafte Bestimmung der Größe des Betriebsrats (BAG vom 13.3.2013, Az. 7 ABR 69/11) z. B. weil Leiharbeitnehmer nicht berücksichtigt wurden (LAG Rheinland-Pfalz v. 6.3.2015, 1 TaBV 23/14);
- Durchführung einer Online-Betriebsratswahl (LAG Hamburg v. 15.2.2018, 8 TaBV 5/17);
- Verstoß gegen den Grundsatz der geheimen Wahl (z. B. indem keine geeigneten Schutzvorkehrungen zur Sicherstellung unbeobachteter Stimmabgabe getroffen werden) (LAG Düsseldorf v. 13.12.2016, 9 TaBV 85/16).
Ausnahmsweise stellt auch ein Verstoß gegen "Soll"-Vorschriften einen Anfechtungsgrund dar wie zum Beispiel die unterlassene Unterrichtung ausländischer Mitarbeitender in einer geeigneten Sprache (BAG vom 13.10.2004, Az. 7 ABR 5/04). Diese Bestimmung ist trotz der Ausgestaltung als "Soll"-Vorschrift eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren. Eine Missachtung dieser Bestimmung berechtigt zur Anfechtung der darauf beruhenden Wahl.
Hinweis: Liegt ein solcher Verstoß vor, muss darüber hinaus noch geprüft werden, ob
- der Fehler berichtigt worden ist und
- die Wahl dadurch beeinflusst wurde.
Nach § 19 Abs. 1 BetrVG ist die Wahlanfechtung ausgeschlossen, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Hierbei ist hypothetisch danach zu fragen, ob ein anderes Wahlergebnis auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften erzielt worden wäre oder ob es auch so zu demselben Wahlergebnis gekommen wäre.
Fehler bei der Betriebsratswahl: So funktioniert die Wahlanfechtung
Die Anfechtung richtet sich gegen den gewählten Betriebsrat und zielt darauf ab, die Wahl für unwirksam zu erklären oder das richtige Wahlergebnis festzustellen. Der Antragssteller muss einen betriebsverfassungsrechtlich erheblichen Tatbestand vortragen, der möglicherweise die Anfechtung der Wahl rechtfertigt. Am Wahlanfechtungsverfahren beteiligt ist neben dem Antragssteller und Antragsgegner stets auch der Arbeitgeber, nicht hingegen der Wahlvorstand.
Die Wahlanfechtung erfolgt auf Antrag beim Arbeitsgericht, welches im Beschlussverfahren entscheidet. Das Arbeitsgericht prüft die Betriebsratswahl nicht von Amts wegen, das Gericht muss von einem Anfechtungsberechtigten durch Einreichung eines Schriftsatzes oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle angerufen werden. Zur Wahlanfechtung berechtigt sind gemäß § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG
- mindestens drei Wahlberechtigte,
- eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder
- der Arbeitgeber.
Zulässig ist die Wahlanfechtung nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses.
Nach dem durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz neu eingefügten § 19 Abs. 3 BetrVG ist die Anfechtung der Betriebsratswahl wegen Unrichtigkeit der Wählerliste
- durch die Wahlberechtigten ausgeschlossen, wenn nicht zuvor gegen die Wählerliste ordnungsgemäß Einspruch eingelegt worden ist und die Anfechtenden nicht an der Einlegung des Widerspruchs (z. B. wegen Arbeitsunfähigkeit) gehindert waren;
- durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, wenn die Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht.
Der Betriebsrat muss nach der am 15. Oktober 2021 in Kraft getretenen Änderung der Wahlordnung im Wahlausschreiben auf die neuen Ausschlussgründe des § 19 Abs. 3 BetrVG hinweisen.
Hinweis: Da der Arbeitgeber nach § 2 Abs. 2 WO verpflichtet ist, dem Wahlvorstand alle erforderlichen Auskünfte für die Anfertigung der Wählerliste zu erteilen, sollte zwingend darauf geachtet werden, dass die Angaben auch korrekt sind. Durch falsche Angaben wird jedenfalls das Anfechtungsrecht des Arbeitgebers aufgrund der Unrichtigkeit der Wählerliste konterkariert.
Wahlanfechtung: Kosten für den Arbeitgeber
Unabhängig vom Ergebnis ist die Wahlanfechtung für den Arbeitgeber mit erheblichen finanziellen Belastungen verbunden, da er die Kosten seines Rechtsanwalts und die des Rechtsanwalts des Betriebsrates/Wahlvorstandes tragen muss. Diese Kosten gehören in der Regel zu den nach § 20 Abs. 3 S. 1 BetrVG erforderlichen Kosten der Betriebsratswahl.
Die Durchführung der Wahlanfechtung ist für den Arbeitgeber daher nur in wenigen Fällen sinnvoll, beispielsweise wenn zu erwarten ist, dass sich die Mehrheitsverhältnisse durch eine Neuwahl zugunsten des Arbeitgebers ändern oder wenn der Arbeitgeber verhindern möchte, dass ein in den Betriebsrat gewählter Arbeitnehmender den dauerhaften Kündigungsschutz als Betriebsratsmitglied erwirbt.
Anfechtung Betriebsratswahl: Das sind die Folgen
Je nachdem ob der Mangel nur durch die Wiederholung der Wahl oder bereits durch eine Korrektur des Wahlergebnisses behoben werden kann, ist entweder die Wahl oder die Feststellung des Wahlergebnisses ungültig. Die erfolgreiche Anfechtung führt dazu, dass der Betriebsrat mit der Rechtskraft der Entscheidung sein Amt verliert, sodass ein betriebsratsloser Betrieb besteht.
Hinweis: Die Entscheidung entfaltet zwar keine Rückwirkung, jedoch bleiben die Aufgaben und Befugnisse des Betriebsrats auch nicht bis zu etwaigen Neuwahlen bestehen; sie enden umgehend mit der Rechtskraft der Entscheidung.
Wahlnichtigkeit: Schwere Fehler bei der Betriebsratswahl
Von der bloßen Anfechtbarkeit der Wahl zu unterscheiden ist ihre Nichtigkeit, die nur selten in Betracht kommt. Die Betriebsratswahl ist nur dann nichtig, wenn ein besonders grober und offensichtlicher Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften vorliegt. Nach dem BAG muss die Betriebsratswahl "den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn tragen" (BAG v. 19.11.2003, 7 ABR 25/03).
Wird die Nichtigkeit der Wahl festgestellt, hat der Betriebsrat – im Unterschied zur Wahlanfechtung – zu keinem Zeitpunkt rechtswirksam bestanden: Die Wahl wird rückwirkend so behandelt, als hätte sie gar nicht stattgefunden.
Diese Fehler führen zur Wahlnichtigkeit
Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl kommt nur bei groben und – kumulativ – offensichtlichen Verstößen gegen wesentliche Wahlvorschriften in Betracht. Diese müssen so schwerwiegend sein, dass nicht einmal der Anschein einer gesetzmäßigen Wahl vorliegt (BAG v. 19.11.2003, 7 ABR 25/03). Die Wahl ist insbesondere dann nichtig,
- wenn der Betrieb nach § 1 BetrVG nicht betriebsratsfähig ist (BAG vom 29.4.1998, Az. 7 ABR 42/97) und der Geltungsbereich des BetrVG gar nicht eröffnet war;
- wenn bereits ein Betriebsrat gewählt wurde und die Wahl deshalb zur Absetzung eines im Amt befindlichen Betriebsrats führen würde (LAG Hamm vom 17.8.2007, Az. 10 TaBV 37/07);
- wenn schwerwiegende Verstöße gegen das Wahlverfahren vorliegen, unter anderem, wenn gar kein Wahlvorstand vorhanden war, keine Wählerliste aufgestellt oder das Wahlgeheimnis (z. B. wegen fehlender Versiegelung der Wahlurne) nicht gewahrt worden ist (LAG Hamm vom 3.10.1974, Az. 8 TaBV 44/74).
In folgenden Fällen ist die Wahl dagegen nicht nichtig: Wenn
- der Betriebsrat im falschen Wahlverfahren gewählt worden ist (BAG-Beschluss vom 19.11.2003, Az. 7 ABR 24/03);
- ein Betriebsrat mit zu hoher Mitgliederzahl gewählt worden ist (BAG vom 29.5.1991, Az. 7 ABR 67/90);
- eine fehlerhafte Betriebsabgrenzung unter Verkennung des Betriebsbegriffs durch den Wahlvorstand vorgenommen wurde (BAG vom 13.9.1984, Az. 6 ABR 43/83).
Hinweis: Nichtigkeit liegt bei der Verkennung des Betriebsbegriffs jedoch dann vor, wenn eine Betriebsratswahl unter Missachtung einer nach § 18 Abs. 2 BetrVG ergangenen rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung durchgeführt wird (BAG vom 19.11.2003, Az. 7 ABR 25/03).
Nichtige Betriebsratswahl: So wird diese festgestellt
Im Gegensatz zur Anfechtung tritt die Nichtigkeit von selbst und von Anfang an ein. Geltend gemacht werden kann die Nichtigkeit der Wahl deshalb von jedermann, der an der Feststellung der Nichtigkeit ein berechtigtes Interesse hat, zu jeder Zeit in jeder Form (BAG vom 27.4.1976, Az. 1 AZR 482/75; BAG vom 11.4.1978, Az. 6 ABR 22/77).
Hinweis: Der Arbeitgeber kann zum Bespiel innerhalb eines Kündigungsrechtstreits die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl geltend machen, sofern sich der Arbeitnehmende darauf beruft, Betriebsratsmitglied oder Mitglied des Wahlvorstands zu sein und daher dem besonderen Kündigungsschutz der § 15 KSchG und § 103 BetrVG unterliegt.
Antragsberechtigt sind nach § 19 Abs. 2 BetrVG jedenfalls die zur Wahlanfechtung Berechtigten. Einer besonderen Aufhebung durch gerichtliche Entscheidung bedarf es entsprechend nicht.
Dies ist auch im Eilverfahren möglich. Ein Anspruch des Arbeitgebers darauf, die von einem Wahlvorstand eingeleitete Betriebsratswahl abzubrechen, kann sich aus der zu erwartenden Nichtigkeit der Betriebsratswahl ergeben (LAG Düsseldorf v. 25.3.2020, 7 TaBV Ga 2/20). Die bloße Anfechtbarkeit genügt nicht (BAG vom 27.7.2011, Az. 7 ABR 61/10).
Nichtigkeit der Betriebsratswahl: Das sind die Folgen
Bei nichtiger Betriebsratswahl hat der Betriebsrat von Anfang an nie existiert. Der Betrieb ist rechtlich betriebsratslos. Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden, die mit diesem Betriebsrat geschlossen wurden, sind unwirksam. Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte bestanden und bestehen nicht. Auch die Mitglieder hatten nie den Status eines Betriebsratsmitglieds, sodass ihnen auch nicht der besondere Kündigungsschutz aus § 15 KSchG und § 103 BetrVG zusteht.
Sofern die Nichtigkeit der Betriebsratswahl erst nach längerer Zeit erkannt wird, kann es zu umfassenden Rechtsfragen kommen. Insbesondere ist problematisch, ob Arbeitnehmende individualrechtliche Ansprüche auf Leistungen aus unwirksamen Betriebsvereinbarungen und Regelungsabreden haben.