Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsänderung. Einstweilige Verfügung auf Unterlassung von betriebsbedingten Kündigungen
Leitsatz (amtlich)
Dem Betriebsrat steht im Falle einer Betriebsänderung i. S. des § 111 Ziff. 1 BetrVG kein im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Anspruch auf Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen zu, und zwar weder bis zum Abschluß eines Interessenausgleichs bzw. bis zum Abschluß eines Einigungsstellenverfahrens über einen Interessenausgleich noch – nach dem am 01.10.1996 in Kraft getretenen arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz – bis zum Ablauf von drei Monaten nach erstmaliger Beteiligung des Betriebsrats hinsichtlich der beabsichtigten Betriebsänderung.
Normenkette
BetrVG § 111 ff., § 2 Abs. 1, § 78 S. 1; BetrVG 112 Abs. 2; BetrVG § 112 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Duisburg (Beschluss vom 23.10.1996; Aktenzeichen 5 BVGa 10/96) |
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrates gegen denBeschluß des Arbeitsgerichts Duisburg vom 23.10.1996 – 5 BVGa 10/96 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die vier Antragsgegnerinnen (Arbeitgeber) bilden im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes einen Betrieb, der zum Unternehmensbereich der RWE-Entsorgung gehört, im Mineralölrecycling tätig ist und insgesamt ca. 85 Mitarbeiter beschäftigt.
Am 26.09.1996 beschlossen die Gesellschafter der Firma R. die sofortige Außerbetriebnahme der Altölraffinerie zum 31.10.1996. Deswegen wurde am 02.10.1996 der Mitarbeiter H. entlassen. Mit Schreiben vom 16.10.1996 (Bl. 18 bzw. 20 d.A.) wurde dem Betriebsrat mitgeteilt, daß weitere vier Änderungskündigungen bzw. 49 Beendigungskündigungen ausgesprochen werden sollten.
Zum Abschluß eines Interessenausgleichs sowie eines Sozialplans fanden zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber in der Zeit vom 11.10.1996 bis zum 18.11.1996 insgesamt zehn Verhandlungen statt.
Am 24.10.1996 fand darüber hinaus eine Betriebsratswahl statt, die den gesamten Bereich der Firmengruppe umfaßte.
Mit dem am 21.10.1996 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung hat der Betriebsrat die Unterlassung von betriebsbedingten Kündigungen/Änderungskündigungen bis zum Abschluß eines Einigungsstellenverfahrens über einen Interessenausgleich bzw. bis zum Abschluß eines Interessenausgleichs begehrt, da sein Verhandlungsanspruch über einen Interessenausgleich noch nicht erschöpft sei.
Der Betriebsrat hat behauptet:
Die wirtschaftlichen Grundlagen für die Entscheidung, insbesondere die Vorlage der entsprechenden Unterlagen über die Betriebsergebnisse, die Planung etc. seien nicht überreicht worden. Statt wirtschaftliche, personalwirtschaftliche und Planungsunterlagen vorzulegen, sei ihm – dem Betriebsrat – lediglich mitgeteilt worden, daß bestimmte Ergebnisse vorgesehen seien.
Er hat die Auffassung vertreten:
Er habe einen Anspruch auf Unterlassung der betriebsverfassungswidrigen Durchführung der Maßnahme bis zur Erschöpfung des Verhandlungsanspruches über einen Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG. Insofern gehe es insbesondere um das Verbot, Kündigungen vor Abschluß eines Interessenausgleichs auszusprechen. Der gesetzliche Anspruch laufe leer, wenn der Arbeitgeber ohne weiteres die Betriebsänderung durchführen könne, einmal von dem Sanktionsanspruch des § 113 BetrVG abgesehen. Wenn der Unterlassungsanspruch verneint würde, hätte dies zur Folge, daß auch ein gesetzlich verbrieftes Recht, das in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkanntermaßen bis hin zur Einigungsstelle verfolgbar sei, tatsächlich keinen Bestand habe, wenn der Arbeitgeber ohne weiteres sich darüber hinwegsetzen könne. Vorliegend komme hinzu, daß der Arbeitgeber auf der einen Seite Verhandlungen führe, auf der anderen Seite den Gegenstand der Verhandlungen beseitige. Dieses Vorgehen verstoße in grober Weise gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit, wie er in den Vorschriften der §§ 2, 78 BetrVG seinen Niederschlag gefunden habe. Im übrigen spreche auch die Neufassung des § 113 Abs. 3 BetrVG dafür, daß zumindest für die Dauer von zwei Monaten nach Beginn der Beratungen der Verhandlungsanspruch zu gewährleisten sei mit der Folge, daß ein Unterlassungsanspruch zu bejahen sei.
Der Betriebsrat hat beantragt,
den Beteiligten zu 2) bis 5) aufzugeben, es zu unterlassen, betriebsbedingte Kündigungen/Änderungskündigungen bis zum Abschluß eines Einigungsstellenverfahrens über einen Interessenausgleich bzw. bis zum Abschluß eines Interessenausgleichs wegen der Stillegung der Altölraffinerie auszusprechen.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hat behauptet:
Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß von ihm unterrichtet worden, weshalb der Betriebsrat auch ununterbrochen tage. Der Antrag sei deshalb ohne sachlichen Hintergrund gestellt und diene nur der Zeitverzögerung.
Er hat die Auffassung vertreten:
Der Verhandlungsanspruch des Betriebsrates sei erfüllt. Im übrigen stehe dem Betriebsrat kein Anspruch auf Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen bis zum Abschluß der Ver...