Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf eine Verfassungsbeschwerde gegen eine vorgreifliche rechtskräftige Entscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei anhängiger Verfassungsbeschwerde gegen eine vorgreifliche rechtskräftige Entscheidung kommt eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO grundsätzlich in Betracht.
2. Es kann im Rahmen des Ermessens nach § 148 ZPO gegen eine Aussetzung sprechen, dass sie die gesetzlich gem. § 97 Abs. 3 ArbGG vorgesehene Wirkung gegen alle (erga omnes) einer rechtskräftigen Entscheidung (hier über das Fehlen der Gewerkschaftseigenschaft) nähme.
3. Die Wahl von Gewerkschaftsvertretern in den Aufsichtsrat gem. § 7 Abs. 2 MitbestG auf Vorschlag einer Arbeitnehmervereinigung, der die Gewerkschaftseigenschaft fehlt, ist unwirksam. War das Fehlen der Gewerkschaftseigenschaft weder offenkundig noch zuvor gemäß § 97 Abs. 3 ArbGG mit Wirkung für alle rechtskräftig festgestellt, ist die Wahl allerdings nicht nichtig. Die nach der Wahl eintretende Rechtskraft der Entscheidung über das Fehlen der Gewerkschaftseigenschaft führt ebenfalls nicht zur Nichtigkeit der Wahl.
Normenkette
GG Art. 9; MitbestG §§ 1, 6-7, 16, 22, 24; AktG § 100 Abs. 1, § 104 Abs. 1, § 250 Abs. 1; ZPO §§ 148, 253, 256; ArbGG §§ 2a, 80, 83 Abs. 3, § 97 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.09.2016; Aktenzeichen 14 BV 160/15) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2), 3), 4), 5) und 8) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.09.2016 - 14 BV 160/15 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass die Wahl des Herrn I. F. und der Frau B. W. vom 13.07.2015 als Vertreter der Gewerkschaften in dem zu 7) beteiligten Aufsichtsrat sowie der Frau B. I. und des Herrn N. O. als deren Ersatzmitglieder unwirksam ist.
- Der weitergehende Antrag wird abgewiesen.
II.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III.
Die Rechtsbeschwerde für die Beteiligte zu 1) wird zugelassen. Für die übrigen Beteiligten wird die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Nichtigkeit, hilfsweise Unwirksamkeit der Wahl der Gewerkschaftsvertreter in einen Aufsichtsrat, dessen Wahl sich nach den Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG) bestimmt.
Die Antragstellerin ist eine bundesweit agierende Gewerkschaft. Sie hat eine Vielzahl von Mitgliedern bei der Beteiligten zu 6), dem Unternehmen eines international aufgestellten Versicherungskonzerns mit Sitz in E. (iF: "Arbeitgeberin"). Der Beteiligte zu 7) ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Aufsichtsrat (iF: Aufsichtsrat). Die Beteiligten zu 2) und 3) sind die als Gewerkschaftsvertreter gewählten Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer, die Beteiligten zu 4) und 5) ihre Ersatzmitglieder. Die Beteiligten zu 2) bis 5) sind Mitglieder des zu 8) beteiligten O. e.V., der sich die gewerkschaftliche Vertretung der Arbeitnehmer in der Versicherungsbranche zum Vereinsgegenstand gesetzt hat.
Die Arbeitgeberin beschäftigt in der Regel mehr als 3.500 Arbeitnehmer, verteilt auf mehrere Betriebe. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG besteht der Aufsichtsrat der Arbeitgeberin aus sechs Vertretern der Anteilseigner und sechs Vertretern der Arbeitnehmerseite. Zwei der Vertreter der Arbeitnehmerseite sind Gewerkschaftsvertreter (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 MitbestG).
Mit Beschluss vom 25.08.2014 (HRB 69112) lehnte es das Amtsgericht Düsseldorf ab, bei der sog. Notbestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrats der Arbeitgeberin, die auf den Vorschlag einer Gewerkschaft zu bestellen sind, dem Vorschlag der O. e.V. zu folgen, da diese ihre Gewerkschaftseigenschaft nicht dargetan habe.
Mit Beschluss vom 23.03.2015 (23 BVGa 3/15) lehnte das Arbeitsgericht Hamburg einen Eilantrag des O. e.V. auf Zulassung seines Vorschlags zur Wahl des Aufsichtsrats eines mit der Arbeitgeberin konzernverbundenen Unternehmens ab. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde wurde durch das Landesarbeitsgericht Hamburg am 22.04.2015 (6 TaBVGa 1/15) zurückgewiesen.
Mit Beschluss vom 09.04.2015 (9 TaBV 225/14, Bl. 74 ff. dA.) stellte das Hessische Landesarbeitsgericht in einem am 05.09.2014 eingeleiteten Statusfeststellungsverfahren nach § 97 Abs. 1 bis 3 ArbGG fest, dass der O. e.V. keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG sei. Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wurde nicht zugelassen.
In einer E-Mail vom 02.06.2015 (Bl. 453 dA.) unterrichtete die Antragstellerin den Vorsitzenden des bei der Arbeitgeberin gebildeten Unternehmenswahlvorstands über die vorgenannten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen und empfahl dringend, die Zulassung des Wahlvorschlags des O. e.V. vor der anstehenden Wahl zu korrigieren und deren Wahlvorschläge zurückzuweisen.
Am 05.06.2015 beschloss der Unternehmenswahlvorstand, die Vorschlagsliste des O. e.V. an der Wahl teilnehmen zu lassen. Mit Schreiben vom 11.06.2015 (Bl. 73 dA.) machte d...