Entscheidungsstichwort (Thema)
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz als Grund einer außerordentlichen Kündigung. Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung
Leitsatz (amtlich)
1) Ein Schlag mit der Hand auf das Gesäß einer weiblichen Arbeitskollegin, ausgeführt von einem männlichen Arbeitnehmer, stellt eine sexuelle Belästigung dar, die an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen.
2) Je nach den Umständen des Einzelfalls ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass das schwerwiegende Fehlverhalten des Arbeitnehmers abmahnfähig ist. Es ist insbesondere die Dauer und der beanstandungsfreie Verlauf des Arbeitsverhältnisses, die Erstmaligkeit des Fehlverhaltens und eine an den Tag gelegte tätige Reue in die Interessenabwägung einzustellen.
3) Begeht der Arbeitnehmer eine sexuelle Belästigung nicht unter Missbrauch seiner Stellung als Betriebsratsmitglied oder in sonstigem Bezug zum Betriebsratsamt, verletzt er keine Amtspflicht im Sinne des § 23 Abs. 1 BetrVG.
Normenkette
BetrVG § 103 Abs. 2, § 23 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1; AGG § 3 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 03.08.2023; Aktenzeichen 1 BV 16/23) |
Tenor
I. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Essen vom 03.08.2023 - 1 BV 16/23 - wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Zustimmungsersetzung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3), hilfsweise über seinen Ausschluss aus dem Betriebsrat.
Die Beteiligte zu 1) (i.F.: Arbeitgeberin) wurde im Jahr 2019 gegründet. Sie hat ihr Unternehmen in verschiedene Regionen unterteilt, in denen sie eigenständige Betriebe unterhält. In dem in Essen angesiedelten Betrieb Süd beschäftigt sie ca. 320 Arbeitnehmer.
Der Beteiligte zu 2) (i.F. Betriebsrat) ist der bei der Arbeitgeberin im Betrieb Süd gebildete Betriebsrat.
Der am 18.12.1967 geborene, verheiratete und einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtete Beteiligte zu 3) ist bei der Arbeitgeberin seit dem 01.04.2022 beschäftigt. Grundlage seiner vertraglichen Beziehung mit der Arbeitgeberin ist der Arbeitsvertrag vom 20.04.2022 (Bl. 199 ff. d.z.A.). Nach Ziffer 2.6 dieses Vertrags errechnet sich die Betriebszugehörigkeit ab dem 01.10.2000. Der Beteiligte zu 3) ist seit der letzten Betriebsratswahl Ende 2022 Mitglied des im Betrieb Süd gebildeten Betriebsrats. Er ist AT-Angestellter der L.Abteilung.
Seit Sommer 2022 nimmt der Beteiligte zu 3) regelmäßig ein Medikament gegen Rückenschmerzen ein.
Die L. Abteilung der I. GmbH (A.) führte seit März 2022 im Rahmen des "Global HR Offsite" in Deutschland und z.T. in Europa mehrere (Party-)Veranstaltungen durch. Eine dieser dienstlichen Veranstaltungen fand am 01.02.2023 im K. in W. statt. An dieser nahmen u.a. der Beteiligte zu 3), Frau M. sowie Frau CJ. teil. Frau M. ist seit dem 01.12.2022 im Bereich HS. mit Arbeitsort VB. beschäftigt.
Während der Abendveranstaltung am 01.02.2023 zwischen 23.00 Uhr und 0.00 Uhr begab sich Frau M. vom Außenbereich des Hotels zur Tanzfläche. Als sie an der Bar vorbeiging, wurde ihr kräftig von hinten auf die rechte Seite ihres Gesäßes geschlagen. Als sie sich umdrehte, sah sie den Beteiligten zu 3), von dem sie ausging, dass er der Verursacher war. Sie reagierte ihm gegenüber mit den Worten: "Das ist nicht in Ordnung. Das geht so nicht." Nach ca. ein bis zwei Minuten auf der Tanzfläche ging sie nochmals zum Beteiligten zu 3), der im Gang an einer Sofarückwand lehnte und auf sie einen alkoholisierten Eindruck machte. Sie erklärte, dass ein Schlag aufs Gesäß ein inakzeptables Verhalten sei. Der Beteiligte zu 3) reagierte sinngemäß wie folgt:
"I apologize. I take full responsibility."
Am 02.02.2023 erhielt Frau M. von dem Beteiligten zu 3) eine E-Mail, in welcher er sich - wiederum auf Englisch - für sein unzulängliches Verhalten entschuldigte und erklärte, sein Verhalten sei wohl auf eine geringe Alkoholtoleranz in Verbindung mit neu verschriebenen Medikamenten zurückzuführen (Bl. 38 d.e.A.).
Nach Meldung des Vorfalls durch Frau M. an den L. Bereich und einem mit ihr geführten Gespräch am 10.02.2023 wurde der Beteiligte zu 3) zu dem Vorfall angehört. Er erklärte, aufgrund des Alkoholkonsums an den Vorfall keine Erinnerung zu haben. Im Sommer 2022 habe er von seinem Arzt eine neue Medikation gegen Rückenschmerzen verschrieben bekommen, die angstlösend und enthemmend wirke. Die Wirkung würde durch Alkoholkonsum deutlich verstärkt. Er halte es aufgrund seiner Persönlichkeit und Haltung jedoch für ausgeschlossen, sich dem Vorwurf entsprechend verhalten zu haben.
Die Beschreibung des Vorfalls durch Frau M. wurde in der nachfolgenden Ermittlung durch Frau JS. bestätigt, welche im Rahmen einer Anhörung am 13.02.2023 angab, den Schlag gesehen zu haben. Eine weitere Mitarbeiterin, Frau EK. gab an, eine Handlun...