Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Ausklammerung beim Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage. Aussetzungsentscheidung frühestens nach Anhörung zur Klage. Ermessensspielraum des Gerichts bei Entscheidung über Aussetzung. Erneute Air Berlin-Kündigung keine zwingende Vorgreiflichkeit für BAG-Verfahren bedingend
Leitsatz (amtlich)
1. Der Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG kann im Rechtsstreit idR nicht eingeschränkt werden auf die isolierte Feststellung, dass diese Kündigung ein "möglicherweise noch bestehendes Arbeitsverhältnis nicht beendet hat" (sog. "Ausklammerung"). Dies entspräche weder dem allein vom Kläger zu bestimmenden Klageziel noch ließe es sich im Wege eines zulässigen Teilurteils (§ 301 ZPO) herstellen noch bestünde für ein solches hypothetisches Gutachten ein Rechtsschutzbedürfnis (Abgrenzung zu BAG 22.11.2012 - 2 AZR 732/11, juris, Rn. 20).
2. In Bestandsschutzsachen iSv. § 61a Abs. 1 ArbGG kommt eine Aussetzung idR erst in Betracht, wenn der über die Aussetzung nach Maßgabe des § 55 Abs. 1 Nr. 8 ArbGG allein entscheidende Vorsitzende aufgrund vorläufiger Einschätzung positiv von der tatsächlichen und nicht nur möglichen Vorgreiflichkeit iSv. § 148 ZPO ausgeht. Diese Einschätzung kann idR nicht erfolgen, bevor dem kündigenden Beklagten Gelegenheit zur Begründung der Kündigung und dem gekündigten Kläger zur Erwiderung gegeben wurde.
3. Zur Ermessensabwägung nach § 148 ZPO im Einzelfall.
Normenkette
ZPO §§ 148, 252, 580 Nr. 6; KSchG §§ 4, 13; ArbGG § 9 Abs. 5, §§ 61a, 78 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 26.10.2020; Aktenzeichen 3 Ca 5253/20) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.10.2020 - 3 Ca 5253/20 - aufgehoben.
Gründe
I.
Die sofortige Beschwerde des Beklagten wendet sich gegen die Aussetzung des Verfahrens durch das Arbeitsgericht gemäß § 148 ZPO.
Der Kläger ist Pilot und war bei der Air C. PLC & Co (Schuldnerin) bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin am 01.11.2017 kündigte der beklagte Insolvenzverwalter -noch als Sachwalter bei angeordneter Eigenverwaltung - das Arbeitsverhältnis des Klägers (ebenso das etwa 6.000 weiterer Arbeitnehmer) mit Schreiben vom 28.11.2017 zum 28.02.2018. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage des Klägers hatte vor Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht keinen Erfolg und schwebt noch in der Revisionsinstanz (6 AZR 178/19). Das Bundesarbeitsgericht hat am 13.02.2020 in mehreren Parallelverfahren mit identischen Sachverhalten entschieden, dass die streitbefangenen Kündigungen des Cockpitpersonals der Schuldnerin vom 28.11.2017 unwirksam sind (vgl. ua. BAG 13.02.2020 - 6 AZR 146/19, juris). Hiergegen hat der Beklagte Verfassungsbeschwerden erhoben und deswegen beim Bundesarbeitsgericht die Aussetzung der noch nicht entschiedenen Parallelverfahren, auch des Klägers, angeregt. Der Kläger hat dieser Anregung widersprochen. In einem dieser Parallelverfahren hat das Bundesarbeitsgericht mit Blick auf die Verfassungsbeschwerde die Verhandlung bis zum 31.03.2022 ausgesetzt (BAG 10.09.2020 - 6 AZR 136/19 (A), juris).
Am 27.08.2020 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut, diesmal zum 30.11.2020. Das Arbeitsgericht hat die Verhandlung über die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage des Klägers mit dessen Einverständnis durch Beschluss vom 26.10.2020 gemäß § 148 ZPO ausgesetzt, da über die Kündigung vom 28.11.2017 noch nicht rechtskräftig entschieden, diese aber im vorliegenden Rechtsstreit vorgreiflich sei. Im Rahmen seines Ermessens hat es der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen sowie dem Aspekt der Prozesswirtschaftlichkeit Vorrang vor dem Beschleunigungsgrundsatz beigemessen. Eine Klageerwiderung hat es nicht abgewartet. Ebenso ist es in mehreren Parallelverfahren vorgegangen.
Gegen den ihm am 03.11.2020 zugestellten Beschluss wendet sich die am 17.11.2020 beim Arbeitsgericht eingegangene sofortige Beschwerde des Beklagten. Er rügt eine fehlerhafte Ermessensausübung. Das Arbeitsgericht habe den Beschleunigungsgrundsatz zu gering bewertet, insbesondere nicht berücksichtigt, dass seit der ersten Kündigung vom 28.11.2017 bereits mehr als drei Jahre vergangen seien. Der Beklagte benötige baldige Rechtsklarheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, damit das Insolvenzverfahren ordnungsgemäß abgewickelt werden könne. Zudem könne der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen dadurch begegnet werden, dass im vorliegenden Rechtsstreit die Frage, ob bei Zugang der Kündigung ein Arbeitsverhältnis bestanden habe, gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgeklammert werde (BAG 22.11.2011 - 2 AZR 732/11, juris, Rn. 20).
Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde des Beklagten ist in der Sache begründet. Die Aussetzung des Verfa...