Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermessensentscheidung des Gerichts bei Aussetzung nach § 248 ZPO. Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit nur bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen. Abwägen der Aussetzung des Verfahrens mit Beschleunigungsgebot. Abwägen der Aussetzung des Verfahrens mit Gebot der Vermeidung widersprüchlicher Verfahren. Keine Aussetzung der Lohnklage wegen Kündigungsrechtsstreit

 

Leitsatz (amtlich)

Es ist nicht zu beanstanden, wenn ein Arbeitsgericht einen Rechtsstreit über Annahmeverzugslohnansprüche während des laufenden Berufungsverfahrens im vorgreiflichen Kündigungsrechtsstreit bei obsiegendem Urteil in 1. Instanz nicht gemäß § 148 ZPO aussetzt, wenn das Arbeitsgericht den Beschleunigungsgrundsatz und das Gebot der Vermeidung widersprechender Entscheidungen gegeneinander abgewogen hat.

 

Normenkette

ZPO §§ 148, 252; ArbGG § 9 Abs. 1; BGB § 615

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Entscheidung vom 30.01.2020; Aktenzeichen 3 Ca 2026/19)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 30.01.2020 (3 Ca 2026/19) wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten in dem Beschwerdeverfahren über die Rechtsmäßigkeit eines erstinstanzlichen Beschlusses, mit dem die Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits wegen Vorgreiflichkeit nach § 148 ZPO abgelehnt wurde.

Zwischen den Parteien wurde mit Wirkung ab dem 01.09.2007 ein Arbeitsverhältnis begründet, wonach der Kläger zuletzt als Leiter der Rechtsabteilung (Leiter Legal) beschäftigt wird. Die Beklagte hat ihren Sitz in M . Bei ihr sind regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt. Es ist ferner ein Gesamtbetriebsrat gebildet. Das Jahreszieleinkommen des Klägers für das Jahr 2018 betrug 153.000,- Euro brutto (Bl. 11 d.A.). Es setzt sich zusammen aus einem Grundgehalt iHv. 10.000,- Euro pro Monat sowie einem Zielbetrag als variables Leistungsentgelt (VLE) iHv. 33.000,- Euro brutto pro Jahr. Des Weiteren erhält der Kläger einem Zuschuss iHv. 1.100,- für die Nichtinanspruchnahme eines Dienstwagens sowie einem Bruttozuschuss zur Krankenversicherung iHv. 100,- Euro pro Monat. Mit Schreiben vom 24.04.2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Jahreszieleinkommen "um mindestens 10.000,- Euro" erhöht wird "bei einer Bewertung im Performancelevel 5 oder höher in der PEB-Runde 2018/19" (Bl. 14 ff. d.A.). Daneben existiert bei der Beklagten eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Regelung des Personalentwicklungs- und Beurteilungssystems (PEB) (auch GBV PEB, siehe Bl. 17-23 d.A.). Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger leitender Angestellter iSv. § 5 Abs. 3 BetrVG ist.

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 07.05.2019 das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich zum 30.09.2019, nachdem diese zuvor Compliance-Untersuchungen wegen behaupteter Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Vergütung der Betriebsratsmitglieder durchgeführt hatte. Der Kläger erhob hiergegen fristgemäß Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Bonn (3 Ca 940/19). Das Arbeitsgericht Bonn hat mit Urteil vom 31.10.2019 der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Beklage hat hiergegen Berufung eingelegt, die beim Landesarbeitsgericht Köln unter dem Aktenzeichen 4 Sa 694/19 anhängig ist. Der Termin zur mündlichen Verhandlung ist derzeit für den 22.05.2020 anberaumt.

Mit der vorliegenden Klage in diesem Rechtsstreit hat der Kläger in der Hauptsache Differenzvergütungsansprüche für die Monate Januar bis April 2019 wegen einer von ihm angenommenen Gehaltserhöhung ab Januar 2019 sowie Annahmeverzugslohnansprüche für Mai 2019 bis September 2019 geltend gemacht. Der Kläger hatte die streitgegenständlichen Zahlungsansprüche gegenüber der Beklagten zuvor mit E-Mail vom 03.07.2019 geltend gemacht. Die Beklagte hat diese mit E-Mail vom 05.07.2019 zurückgewiesen. Die Klage vom 24.10.2019 wurde der Beklagten am 31.10.2019 zugestellt (Bl. 46 d.A.). Mit Klageerweiterung vom 11.12.2019 erweiterte der Kläger die Klage um Annahmeverzugslohnansprüche des Klägers bis November 2019, um einen zukunftsgerichteten Feststellungsantrag bzgl. der monatlichen Entgelthöhe, einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO sowie um einen Informationsanspruch bzgl. der personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten, die Gegenstand der Compliance-Untersuchungen im Jahre 2019 waren. Die Klageerweiterung wurde der Beklagten am 12.12.2019 zugestellt (Bl. 63 d.A.). Der Gütetermin beim Arbeitsgericht fand am 16.12.2019 statt.

In diesem Gütetermin beantragte die Beklagte, da nach ihrer Auffassung jedenfalls Teile des Rechtsstreits von dem anhängigen Berufungsverfahren 4 Sa 694/19 in dem Kündigungsschutzrechtsstreit abhingen, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Dem Ruhen des Verfahrens schloss sich der Kläger an und das Arbeitsgericht verkündete mit Beschluss vom 16.12.2019 das Ruhen des Verfahrens (Bl. 64 d.A.).

Der Kläger hat anschließend mit Schriftsatz vom 19.12.2019 die Ansicht vertreten, dass eine Aussetzung des Verfah...

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