Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsfolgen der Einbeziehung einer Betriebsvereinbarung in einen Vollstreckungstitel. Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände als Einwendung gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung
Leitsatz (amtlich)
1. Durch die Einbeziehung einer Betriebsvereinbarung in einen Vollstreckungstitel wird dieser selbst dann nicht unbestimmt, wenn deren Inhalt weder im Titel wiedergegeben oder nach § 313 Abs. 2 ZPO in Bezug genommen worden ist noch überhaupt Akteninhalt des Ausgangsverfahrens war. Grundsätzlich genügt es für die Bestimmtheit eines Titels zwar nicht, wenn auf Urkunden Bezug genommen wird, die nicht Bestandteil des Titels sind, oder wenn sonst die Leistung nur aus dem Inhalt anderer Schriftstücke ermittelt werden kann (BGH 07.12.2005 - XII ZR 94/03 - NJW 2006, 695). Betriebsvereinbarungen sind jedoch privatrechtliche kollektive Normenverträge (BAG 13.02.2007 - 1 AZR 184/06 - NZA 2007, 825 RN 37) und gelten nach § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend. Sollte eine in einem Vollstreckungstitel in Bezug genommene Betriebsvereinbarung dem Vollstreckungsgericht nicht vorliegen, kann diese auch noch im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens von den Beteiligten vorgelegt werden, ohne dass insoweit ein Streit oder eine Unsicherheit über ihren Inhalt entstehen kann. Dies gilt jedenfalls im Rahmen einer Vollstreckung nach § 890 oder § 888 ZPO, bei der das Prozessgericht die Funktion des Vollstreckungsgerichts innehat.
2. Nach § 767 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO kann eine Veränderung derjenigen Umstände, auf denen der gerichtliche Titel beruht, einer Vollstreckung aus diesem entgegen stehen. Nach der von der Beschwerdekammer geteilten Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 19.06.2012 - 1 ABR 35/11 - NZA 2012, 1179) kommen als erhebliche Einwendungen in diesem Sinn solche neuen Tatsachen in Betracht, die den Sachverhalt verändert haben, der in der früheren Entscheidung als für die ausgesprochene Rechtsfolge maßgebend angesehen worden ist. Dabei ist von den Entscheidungsgründen der rechtskräftigen Entscheidung auszugehen und zu prüfen, ob die neu entstandenen Tatsachen die dort bejahten oder verneinten Tatbestandsmerkmale beeinflussen. Eine Neuregelung durch eine spätere Betriebsvereinbarung kann eine solche relevante Veränderung bedeuten.
3. Derartige materiell-rechtliche Einwendungen sind im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen, sofern die zu berücksichtigenden Umstände unstreitig sind. Dann verbieten es schon prozessökonomische Gründe, den Gläubiger auf die Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage zu verweisen.
Normenkette
ZPO § 890
Verfahrensgang
ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 23.12.2015; Aktenzeichen 1 BV 13/13) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Gläubigers vom 23.12.2015 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 23.12.2015 - 1 BV 13/13 - wird zurückgewiesen.
Kosten werden nicht erhoben.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Arbeitgeberinnen betreiben gemeinschaftlich ein Senioren- und Pflegezentrum. In diesem Betrieb kam durch Spruch einer Einigungsstelle vom 15.02.2013 eine Betriebsvereinbarung über die "Regelung von Überstunden sowie das Verfahren zur Mitbestimmung des Betriebsrats hierbei" (Bl. 43 ff. d.A.) zustande. In dieser heißt es:
§ 3 Begriffsbestimmung
(1) "Überstunden" ist die geleistete Arbeitszeit eines Arbeitnehmers, welche die im jeweiligen Dienstplan vorgesehene Arbeitszeit überschreitet und die vom jeweiligen Arbeitgeber angeordnet oder geduldet wird.
(2) Überstunden im Sinne dieser Betriebsvereinbarung liegen insoweit nicht vor, als die jeweilige Arbeitszeit Gegenstand oder Folge einer vom Betriebsrat mitbestimmten Änderung des Dienstplans ist oder wenn die entsprechende Arbeitszeit im Sinne der Betriebsvereinbarung Dienstplangestaltung als mitbestimmt anzusehen ist.
§ 4 Grundsätze
...
(3) Bei der Anordnung von Überstunden sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG zu beachten. Für Eilfälle gilt eine besondere Regelung (§ 5). Anträge auf Überstunden sind dem Betriebsrat in Textform zu übermitteln. Anlass und Gründe sind in dem Antrag aufzuführen. Sofern der Betriebsrat dem Antrag nach Satz 2 und 3 nicht binnen vier Kalendertagen in Textform widerspricht, gilt er als vom Betriebsrat genehmigt.
Im Ausgangsverfahren hat das Arbeitsgericht Oberhausen den Arbeitgeberinnen mit Beschluss vom 07.08.2013 (Bl. 51 ff. d.A.) aufgegeben, "es zu unterlassen, Mehrarbeit von Mitarbeitern im Betrieb anzuordnen oder duldend entgegen zu nehmen ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates, die ggf. durch die Einigungsstelle ersetzt werden kann", wobei Notfälle und arbeitskampfbedingte Mehrarbeit sowie Fälle ohne kollektiven Bezug ausgenommen worden sind. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung hat das Arbeitsgericht den Arbeitgeberinnen ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,- € angedroht. In den Beschlussgründen hat das Arbeitsgericht den Einigungsstellenspruch vom 15.02.2013 in Bezug genommen und ausgeführt, das Verfahren zur Mitbest...