Entscheidungsstichwort (Thema)
Massenentlassungsanzeige. Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender Massenentlassungsanzeige. Änderung der Arbeitsbedingungen vor Ablauf der Kündigungsfrist. Vorfristiges Änderungsangebot
Leitsatz (amtlich)
1. Kündigt ein Arbeitgeber, bevor er eine nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Anzeige bei der Agentur für Arbeit erstattet hat, ist die Kündigung unwirksam. Eine Heilung durch eine nachträgliche Anzeige ist nicht möglich.
2. Enthält bei einer ordentlichen Änderungskündigung das Angebot eine Änderung der Arbeitsbedingungen bereits mit Wirkung vor Ablauf der Kündigungsfrist, ist die Kündigung nach § 1 Abs. 2, § 2 KSchG sozial ungerechtfertigt (BAG 21.09.2006, 2 AZR 120/06).
Normenkette
KSchG § 17 Abs. 1, § 1 Abs. 2, § 2
Verfahrensgang
ArbG Oberhausen (Urteil vom 27.09.2006; Aktenzeichen 3 Ca 566/06) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird dasUrteil desArbeitsgerichts Oberhausen vom27. September 2006 –3 Ca 566/06 – teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 22. Februar und 27. März 2006 nicht aufgelöst ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu 1/3, die Beklagte zu 2/3 zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit zweier beklagtenseits ausgesprochener Änderungskündigungen.
Die 46 jährige, verheiratete Klägerin ist bei der Beklagten seit Juli 1986 zuletzt als Produktionsleiterin gegen ein Monatsbruttogehalt von 2.617,– EUR angestellt. Die Beklagte beschäftigte zuletzt etwa 25 Arbeitnehmer. Sie produziert eigene Arzneimittel und artverwandte Produkte und in Lohnherstellung Arzneimittel für andere Pharmaunternehmen.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2006, welches die Klägerin am 24. Februar 2006 erhielt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2006, bot der Klägerin jedoch an, das Arbeitsverhältnis in H. im Spreewald fortzusetzen. Gleichzeitig sprach die Beklagte auch den anderen Arbeitnehmern Änderungskündigungen aus. Höchstens fünf Arbeitnehmer nahmen das Änderungsangebot an, die Mehrzahl, darunter auch die Klägerin, hingegen nicht.
Am 23. März 2006 zeigte die Beklagte der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 17 KSchG Entlassungen an. Auf den Inhalt des als Anlage B 3 zur Klageerwiderung zur Akte gereichten Schreibens (Bl. 30 ff. der Akte) im Einzelnen wird verwiesen. Unter dem 24. März 2006 antwortete die Bundesagentur wie folgt:
Ihre o. g. Anzeige ist hier am 23. März 2006 rechtswirksam eingegangen. Damit können die Kündigungen unmittelbar nach Eingang der Anzeige innerhalb von 30 Kalendertagen ausgesprochen werden.
Nach § 18 Abs. 1 KSchG darf die Wirkung der Kündigungen (Austritt der Arbeitnehmer) dann grundsätzlich erst nach Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit eintreten. Innerhalb dieser Frist werden Entlassungen nur mit Zustimmung des in § 20 KSchG bezeichneten Entscheidungsträgers wirksam.
Der Entscheidungsträger kann im Einzelfall bestimmen, dass die Entlassungen nicht vor Ablauf von längstens zwei Monaten nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit wirksam werden (§ 18 Abs. 2 KSchG). Die Entscheidung wird Ihnen schriftlich mitgeteilt.
Mit Schreiben vom 27. März 2006 sprach die Beklagte der Klägerin eine weitere Änderungskündigung „zum 31.10.2006” aus. In dem Schreiben heißt es weiter:
Gleichzeitig bieten wir Ihnen an, das Arbeitsverhältnis ab 01.07.2006 in H. fortzusetzen. Die übrigen Arbeitsbedingungen bleiben unverändert.
Mit ihrer am 14. März 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung vom 20. Februar 2006 gewendet und deren fehlende soziale Rechtfertigung gerügt. Am 3. April 2006 hat sie die Klage auf die zweite Änderungskündigung erstreckt. Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2006 hat die Klägerin zusätzlich gerügt, die Kündigung vom 22. Februar 2006 sei unwirksam, weil die Beklagte die erforderliche Massenentlassungsanzeige unterlassen habe.
Die Klägerin hat – nach dem Tatbestand der angefochtenen Entscheidung – zuletzt beantragt
- festzustellen, dass das zwischen ihr und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2006, zugegangen am 24. Februar 2006, aufgelöst wird,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30. September 2006 hinaus fortbesteht,
- die Beklagte für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen als Produktionsleiterin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu 1 weiter zu beschäftigen,
- festzustellen, dass das zwischen ihr und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 27. März 2006 aufgelöst wird,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch ...