Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlerhafte Unterrichtung über Betriebsübergang. Widerspruch. Verwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Rügt ein Arbeitnehmer gegenüber dem Betriebsveräußerer die Fehlerhaftigkeit des Unterrichtungsschreibens und behält er sich ausdrücklich vor, sein Widerspruchsrecht vorbehaltlich weiterer Aufklärungen noch auszuüben, so kann darin ein vertrauenszerstörender Umstand liegen, der eine Verwirkung ausschließt.

2. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Veräußerer bereits von einer größeren Anzahl anderer Arbeitnehmer wegen fehlerhafter Unterrichtung eine Widerspruchserklärung erhalten hat und von diesen gerichtlich auf das Bestehen von Arbeitsverhältnissen in Anspruch genommen wird.

3. Läuft die Widerspruchsfrist wegen einer fehlerhafen Unterrichtung nicht, so kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls in der Erhebung einer Kündigungsschutzklage gegen eine vom Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung kein für die Verwirkung maßgebliches Umstandsmoment gesehen werden. Wenn der Arbeitnehmer bei unklarer Rechtslage eine rechtliche Möglichkeit wahrnimmt, sein etwaiges Arbeitsverhältnis mit der Erwerberin zu erhalten, ist darin kein vertrauensbegründender Umstand zugunsten des Veräußerers zu sehen, der Arbeitnehmer werde sein Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer sich die Ausübung des Widerspruchsrechts ausdrücklich vorbehalten hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Widerspruch des Arbeitnehmers unterfällt nicht der einmonatigen Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 BGB, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den Betriebs(teil)übergang nicht ordnungsgemäß i.S.v. § 613a Abs.5 BGB unterrichtet hat.

2. Das Widerspruchsrecht unterliegt dem Rechtsinstiut der Verwirkung, wenn im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände ein Fall unzulässiger Rechtsausübung festgestellt werden kann. Bereits aus diesem Grund sind für das Zeitmoment starre Zeitgrenzen abzulehnen.

 

Normenkette

BGB § 613a

 

Verfahrensgang

ArbG Solingen (Urteil vom 17.10.2006; Aktenzeichen 5 Ca 523/06 lev)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Solingen vom17.10.2006 – 5 Ca 523/06 lev – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsvertragsverhältnis besteht.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner am 09.03.2006 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsvertragsverhältnis besteht. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils der Beklagten wirksam widersprochen hat.

Der am 25.12.1963 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 04.08.1980 bei der Beklagten beschäftigt. Er erzielte eine durchschnittliche Bruttovergütung in Höhe von monatlich 4.731,04 EUR brutto. Der Kläger ist schwerbehindert.

Der Kläger war dem Geschäftsbereich Consumer Imaging (CI) zugeordnet, der insbesondere die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte umfasste. Da dieser Geschäftsbereich seit mehreren Jahren einen massiven Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte, hat die Beklagte zur Kostenreduzierung Personalabbaumaßnahmen durchgeführt. Dazu gehörte unter anderem auch der Abschluss von Vorruhestandsverträgen oder Altersteilzeitvereinbarungen, in denen den jeweiligen Arbeitnehmern zum Teil erhebliche finanzielle Leistungen zugesagt wurden.

Unter dem Datum vom 14.10.2004 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste ab (Bl. 249 – 254 der Akte).

Ende des Jahres 2004 wurde der Geschäftsbereich CI im Wege eines Betriebsübergangs ausgegliedert und mit Wirkung zum 01.11.2004 auf die neu gegründete B. Photo GmbH übertragen.

Für die von dem Teilbetriebsübergang betroffenen Belegschaftsmitglieder fanden Informationsveranstaltungen statt. Unter anderem hat die Beklagte eine solche Informationsveranstaltung am 19.08.2004 abgehalten, bei der der spätere Geschäftsführer der B. Photo GmbH F. S., zum damaligen Zeitpunkt Mitglied des Vorstandes der Beklagten, Informationen zur wirtschaftlichen Situation der B. Photo GmbH erteilte. Außerdem wurden die Arbeitnehmer in Mitarbeiterzeitschriften über den bevorstehenden Teilbetriebsübergang unterrichtet. Im Monat September 2004 befanden sich in den betriebsinternen Magazinen die Zahlenangaben für die Erwerberin B. Photo GmbH von 300 Millionen Eigenkapitalsumme sowie 70 bzw. 72 Millionen Euro Barmittel.

Sämtliche dem Geschäftsbereich CI zugeordneten Arbeitnehmer der Beklagten haben im Oktober 2004 im Zusammenhang mit der Übertragung des Geschäftsbereichs CI eine im wesentlichen gleich lautende schriftliche Information erhalten. Die Informationsschreiben unterscheiden sich allerdings abhängig von der jeweiligen arbeitsvertraglichen Situation der betroffenen Mitarbeiter in Einzelfragen voneinander.

Mit Schreiben vom 22.10.2004 wurde auch der Kläger...

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