Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang. Ordnungsgemäße Unterrichtung. Widerspruchsrecht. Verwirkung des Widerspruchsrechts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Fordert der Arbeitnehmer den Betriebsveräußerer im Fall einer fehlerhaften Unterrichtung zu weiteren Informationen hinsichtlich des Betriebsübergangs auf und behält er sich den Widerspruch ausdrücklich vor, so ist darin ein vertrauenszerstörender Umstand zu sehen mit der Folge, dass der Betriebsveräußerer, der das Schreiben des Arbeitnehmers unbeantwortet lässt, sich nicht mehr auf eine Verwirkung des Widerspruchsrechts berufen kann. Eine Verwirkung gilt grundsätzlich dann als ausgeschlossen, wenn der Berechtigte in irgend einer Weise zu erkennen gibt, dass er möglicherweise auf seinem Recht besteht.

2. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Veräußerer bereits von einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern eine Widerspruchserklärung wegen fehlerhafter Unterrichtung erhalten hat und von diesen gerichtlich auf das Bestehen von Arbeitsverhältnissen in Anspruch genommen worden ist. Er muss in diesem Fall damit rechnen, dass auch andere Arbeitnehmer – insbesondere die, die sich den Widerspruch vorbehalten haben – nach weiterer Aufklärung der Sach- und Rechtlage von ihrem Widerspruchsrecht noch Gebrauch machen werden.

3. Das Widerspruchsrecht kann bei nicht laufender Widerspruchsfrist grundsätzlich auch noch nach rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden.

 

Normenkette

BGB § 613a Abs. 1 S. 1, Abs. 5 Nrn. 3-4, Abs. 6, § 242; KSchG § 5 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Solingen (Urteil vom 30.01.2007; Aktenzeichen 5 Ca 2692/05 lev)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 24.07.2008; Aktenzeichen 8 AZR 755/07)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 30.01.2007 – 5 Ca 2692/05 lev – wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner am 27.12.2005 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrt der Kläger gegenüber der Beklagten als Betriebsveräußerin die Feststellung, dass ihm gegen die Beklagte ein Anspruch auf Altersversorgung aus der Zusage im Anstellungsvertrag und aufgrund einer weiteren Vereinbarung aus dem Jahre 2003 zusteht. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils der Beklagten wirksam widersprochen hat.

Der am 22.03.1950 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 01.12.1977 bei der Beklagten zuletzt als Controller in der Abteilung internationale Finanzen und Controlling tätig.

Ausweislich Ziffer 10 des Anstellungsvertrages vom 23.12.1981/18.01.1982 (Bl. 15 – 18 der Akte) ist dem Kläger ein Anspruch auf Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe der Gesamtversorgungsordnung der Beklagten zugesagt worden.

Der Kläger war dem Geschäftsbereich Consumer Imaging zugeordnet, der insbesondere die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte umfasste. Da dieser Geschäftsbereich seit mehreren Jahren einen massiven Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte, hat die Beklagte zur Kostenreduzierung Personalabbaumaßnahmen durchgeführt. Dazu gehörte unter anderem auch der Abschluss von Vorruhestandsverträgen oder Altersteilzeitvereinbarungen, in denen den jeweiligen Arbeitnehmern von der Beklagten zum Teil erhebliche finanzielle Leistungen zugesagt wurden.

Mit Schreiben vom 29.11.2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 30.06.2003 und aufgrund weiterer vorsorglicher betriebsbedingter Kündigung vom 29.08.2003 zum 31.03.2004.

In einem außergerichtlichen Vergleich vom 02.12.2003 (Bl. 21 – 22 der Akte) einigten die Parteien sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2005.

Unter Ziffer 7. dieses Vergleichs vereinbarten die Parteien, dass der Kläger zum Ausgleich für die Rentenzuwächse in der Pensionskasse, die ihm in der Zeit zwischen seinem Ausscheiden und der Vollendung des 60. Lebensjahres entgehen, eine einzelvertragliche Zusage ab Alter 60 in Höhe von 299,10 EUR brutto monatlich erhält.

Mit Schreiben vom 19.03.2004 (Bl. 35 der Akte) wurde der Kläger mit Wirkung ab dem 01.04.2004 bis zum 31.03.2005 widerruflich von der Arbeitsleistung freigestellt.

In Erfüllung der unter Ziffer 7. des Vergleichs getroffenen Vereinbarung übersandt die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 09.07.2004 eine einzelvertragliche Pensionszusage (Bl. 23 – 26 der Akte) und verzichtete mit Schreiben vom 26.10.2004 auf die Einhaltung der Wartezeiten sowie auf die Quotierung der Zahlungen gemäß Betriebsrentengesetz aus der einzelvertraglichen Pensionszusage vom 09.07.2004.

Unter dem Datum vom 14.10.2004 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste ab.

Ende des Jahres 2004 wurde der Geschäftsbereich CI im Wege eines Betriebsübergangs ausgegliedert und mit Wirkung zum 01.11.2004 auf die neu gegründete B. Photo GmbH übertragen.

Für die von dem Teilbetriebsübergang betroffenen Belegschaft...

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