Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung einer Weisung des Arbeitgebers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung einer Weisung des Arbeitgebers nach Maßgabe der §§ 106 Satz 1 GewO, 315 Abs. 1 BGB ist der der Vornahme der Weisung, nicht der der letzten mündlichen Verhandlung im arbeitsgerichtlichen Verfahren und auch kein dazwischen liegender Zeitpunkt. In die erforderliche umfassende Abwägung der wechselseitigen Interessen können daher auch nur diejenigen Umstände einbezogen werden, die zum Zeitpunkt der Vornahme der Weisung bereits vorlagen.

2. Die Darlegungs- und Beweislast für die die Billigkeit der Direktionsrechtsausübung begründenden Umstände trägt der Arbeitgeber.

3. Im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung kommt auch dem Umstand, ob ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der ihm gegenüber ausgesprochenen Weisung wegen damit geänderter Schichtzuordnung und geänderter Arbeitszeiten eine Schichtzulage in nicht unbeträchtlicher Höhe (hier: 292,- € monatlich) verliert und ihn dies unter Berücksichtigung insbesondere seiner Unterhaltspflichten schwerer als vergleichbare, hiervon nicht betroffene Arbeitskollegen trifft, Bedeutung zu. Es handelt sich dabei um eine zu berücksichtigende wirtschaftliche Auswirkung der Weisung und nicht lediglich um eine unerhebliche mittelbare Folge der Veränderung der Arbeitszeit.

 

Normenkette

GewO § 106; BGB § 315

 

Verfahrensgang

ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 07.07.2016; Aktenzeichen 3 Ca 929/16)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 07.07.2016 - Az.: 3 Ca 929/16 - abgeändert und festgestellt, dass die Weisung der Beklagten mit Schreiben vom 27.10.2015, dass der Kläger ab 01.11.2015 in Wechselschicht im Brennbetrieb tätig zu werden habe, unwirksam ist.

  • II.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Weisung, nach der der Kläger mit Wirkung seit 01.11.2015 nur noch im Brennbetrieb in Wechselschicht eingesetzt wird.

Der Kläger, geboren am 06.06.1965, verheiratet und Vater dreier Kinder, von denen er laut der Beklagten vorliegenden Steuermerkmalen noch zweien unterhaltspflichtig ist, ist seit dem 03.10.1988 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis, auf das kraft beiderseitiger Verbandsmitgliedschaft die Tarifverträge der chemischen Industrie (abgeschlossen mit der IG Bergbau, Chemie, Energie) Anwendung finden, liegt im Übrigen der schriftliche Arbeitsvertrag vom 23.11./6.12.1995 zugrunde, in dem es auszugsweise wörtlich heißt (Blatt 44 ff. der Akte):

"1. Vertragsbeginn und Einsatzbereich

Der Mitarbeiter nahm die Tätigkeit bei VAW am 03.10.1988 auf. Zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung wird der Mitarbeiter im Geschäftsfeld Kohlenstoff- und Graphitprodukte, Bereich Brennbetrieb, eingesetzt. Er kann auch mit anderen zumutbaren Arbeiten in anderen Betriebsabteilungen beschäftigt werden.

2.Arbeitszeit

Die Arbeitszeit richtet sich nach den jeweils gültigen Tarifverträgen und den örtlichen Arbeitszeitvereinbarungen für den jeweiligen Einsatzbereich des Mitarbeiters. Der Mitarbeiter erklärt ausdrücklich seine Bereitschaft zur Schichtarbeit. ..."

Am 29.09.2006 schloss die Beklagte mit dem in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über Arbeitszeitregelungen (Blatt 47 ff. der Akte). In einem Nachtrag vom 21.10.2009 vereinbarten die Betriebsparteien, dass durch die Zusammenlegung des Brennbetriebs und der Imprägnierung ein einheitliches Schichtsystem eingeführt wird (Blatt 50 der Akte). In den Bereichen Brennbetrieb und Imprägnierung wurde danach seit 2009 in vollkontinuierlicher Wechselschicht gearbeitet.

Im August 2015 traf die Beklagte die Entscheidung, Brennbetrieb und Imprägnierung nicht weiter einheitlich im Rahmen eines vollkontinuierlichen Wechselschichtbetriebes fortzuführen, sondern die Bereiche zu trennen. Mit Wirkung zum 01.11.2015 ist für den Brennbetrieb ein Wechselschichtsystem mit Früh- und Spätschicht im wöchentlichen Wechsel und freien Wochenenden eingeführt worden. Im Bereich Imprägnierung wird hingegen weiterhin in vollkontinuierlicher Wechselschicht gearbeitet.

Hierüber verhalten sich zwei mit Wirkung zum 01.11.2015 erfolgte Nachträge zur Betriebsvereinbarung über Arbeitszeitregelungen für den Brennbetrieb und die Imprägnierung (Blatt 51 ff. der Akte) sowie ein Aushang der Beklagten zur Mitarbeiterinformation vom 08.10.2015 (Blatt 57 der Akte) und eine Mitarbeiterinformationsschrift des Betriebsrats vom 20.10.2015 (Blatt 58 der Akte).

Über die "personelle Maßnahme wegen Änderung der Arbeitszeitregelung/Neuorganisation des Brennbetriebs" bezogen auf den Kläger informierte die Beklagte den Betriebsrat mit dem Formular der Anlage 10 zum Schriftsatz vom 23.05.2016 (Blatt 59 der Akte); der Betriebsrat hat dort sein Einverständnis mit der Maßnahme schri...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge