Entscheidungsstichwort (Thema)

Gemeinsamer Betrieb. Treuwidrigkeit hier Kündigung. Geltendmachung im Berufungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen liegt nicht vor, wenn es an einer zusammengefassten Einbringung von Betriebsmitteln und Arbeitnehmern fehlt. Daran ändert auch nichts, dass bestimmte Dienstleistungen wie Personalverwaltung und Vergütungsabrechnung durch ein Unternehmen für die gesamte Firmengruppe erbracht werden und zudem eine Personenidentität in der Unternehmensleitung besteht (im Anschluss an BAG, Urteil v. 13.08.2008 – 7 ABR 21/07 – juris).

2. Der Unwirksamkeitsgrund der Treuwidrigkeit einer ordentlichen Kündigung gem. § 242 BGB kann noch im Berufungsverfahren geltend gemacht werden, wenn das Arbeitsgericht im Kündigungsschutzverfahren erster Instanz seine Hinweispflicht gem. § 6 Satz 2 KSchG verletzt hat.

3. Nach der Neufassung des § 6 KSchG hat das Berufungsgericht den Rechtsstreit nicht wegen Verletzung der Hinweispflicht an die erste Instanz zurückzuverweisen, sondern in der Sache selbst über den erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachten anderen Unwirksamkeitsgrund zu entscheiden.

4. Eine ordentliche Kündigung ist gem. § 242 BGB rechtsunwirksam, wenn der Arbeitgeber bei seiner Auswahlentscheidung das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitnehmer verletzt hat (BVerfG, Beschluss vom 27.01.1998, AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969). Zuvor ausgesprochene Abmahnungen können die Auswahlentscheidung in diesem Zusammenhang jedenfalls dann nicht rechtfertigen, wenn die Beanstandungen eindeutig nicht gravierend waren (im Anschluss an BAG, Urteil vom 28.08.2003, AP Nr. 17 zu § 242 BGB Kündigung).

 

Normenkette

KSchG §§ 6, 23 Abs. 1; BGB § 242; BetrVG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Krefeld (Urteil vom 03.06.2008; Aktenzeichen 4 Ca 266/08)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 03.06.2008 – 4 Ca 266/08 – abgeändert.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 31.01.2008 nicht aufgelöst wird.Die Kosten des ersten Rechtszuges werden – bei einem Gerichtsgebührenwert von 17.728,– EUR – dem Kläger zu 5/18 und der Beklagten zu 13/18 auferlegt. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. Der Gerichtsgebührenwert für den zweiten Rechtszug wird auf 8.298,– EUR festgesetzt.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.

Der am 14.05.1960 geborene Kläger ist verheiratet. In seinem Haushalt leben drei unterhaltsberechtigte eigene Kinder und zwei weitere aus der ersten Ehe seiner Frau. Der Kläger trat zum 01.07.1976 in die Dienste der Beklagten. Die Beklagte betreibt in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG ein Unternehmen des Glaserhandwerks mit zuletzt acht Arbeitnehmern und einem Auszubildenden. Von diesen Arbeitnehmern waren in dem Zeitraum bis zum 31.12.2003 neben dem Kläger nur drei weitere Arbeitnehmer beschäftigt. Es wird im Übrigen auf die von der Beklagten im Gütetermin vor dem Arbeitsgericht vorgelegte Personalliste verwiesen (Bl. 20 d.A.). Das Arbeitsverhältnis des als Glaser/Monteur tätigen Klägers war von 1985 bis 1988 unterbrochen, weil dieser auf Wunsch der Beklagten in einem anderen Unternehmen eingesetzt war. Die Parteien vereinbarten jedoch, dass die Unterbrechungszeit auf die Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten anzurechnen sei. Der Kläger bezog zuletzt eine monatliche Vergütung von 2.766,– EUR brutto.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Q.-Gruppe. Im Frühjahr 2006 zog die Beklagte, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand, aus dem bisherigen Geschäftslokal aus und mietete von der Firma Glas Q. GmbH & Co. KG am L. weg in W. Räume für ihr Lager und ihre Maschinen an. Die Glas Q. GmbH & Co. KG verfügt auf demselben Grundstück über eine Produktionsstätte für Isolierglas und vertreibt dieses an gewerbliche Kunden. Die Beklagte bezieht u.a. Produkte der Glas Q. GmbH & Co. KG. Letztere beschäftigt ca. 50 Arbeitnehmer. Diese haben einen Betriebsrat gewählt. Im Jahr 2007 waren für insgesamt 34 Stunden Arbeitnehmer der Glas Q. GmbH & Co. KG aushilfsweise bei der Beklagten eingesetzt. Es besteht weiterhin eine Firma J. Q. sen. GmbH & Co. KG, deren Verwaltung sich ebenfalls in W. nicht weit vom Sitz der Beklagten befindet. Dieses Unternehmen betreibt an insgesamt 26 Standorten einen Großhandel für Baubedarf. Sie beschäftigt ca. 240 Arbeitnehmer, die ebenfalls einen Betriebsrat gewählt haben. Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft ist bei allen drei Unternehmen Herr Q.-N.. Durch Servicevertrag vom 01.07.2002 übertrug die Beklagte die Geschäftsleitung sowie gegen Entgelt Leistungen im Zusammenhang mit dem Finanz- und Rechnungswesen, mit Hausverwaltung/Versicherungen, mit Personalwesen/Abrechnung, mit dem Fuhrpark und mit EDV- und Operating-Arbeiten auf die J. Q. sen. GmbH & Co. KG. Seit dem 01.03.20...

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