Entscheidungsstichwort (Thema)
Interessenausgleich. wesentlicher Betriebsteil. Kleinbetrieb. Nachteilsausgleich
Leitsatz (amtlich)
1) Bei der Frage, ob ein Betriebsteil eines Kleinbetriebs mit weniger als 21 Arbeitnehmern als wesentlicher Betriebsteil i. S. d. § 111 Satz 3 BetrVG anzusehen ist, kann nicht nur auf die Anzahl der Arbeitnehmer abgestellt werden (quantitatives Merkmal).
2) Von einer Wesentlichkeit kann nur ausgegangen werden, wenn die wirtschaftliche und sonstige Bedeutung des Betriebsteils als erheblich einzuschätzen ist (qualitatives Merkmal).
Normenkette
KSchG § 17; BetrVG §§ 111, 113
Verfahrensgang
ArbG Duisburg (Urteil vom 30.09.2008; Aktenzeichen 4 Ca 697/08) |
Nachgehend
Tenor
1) Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 30.09.2008 – 4 Ca 697/08 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
2) Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3) Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Nachteilsausgleichsansprüche aus einem inzwischen beendeten Arbeitsverhältnis.
Der am 12.06.1948 geborene Kläger war seit 1980 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Kraftfahrer beschäftigt, und zwar zuletzt auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 30.06.2004 (Bl. 13 bis 16 d. A.) in der Niederlassung O. der Beklagten. Das Bruttomonatsgehalt des Klägers betrug im Jahre 2008 2.583,– EUR. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung.
In der Niederlassung der Beklagten in O. wurden im Jahre 2008 13 Mitarbeiter beschäftigt, von denen fünf als Kraftfahrer tätig waren. Die Beklagte hörte den bei ihr bestehenden Betriebsrat am 11.02.2008 zu einer beabsichtigten Kündigung von vier Kraftfahrern, zu denen auch der Kläger gehörte, an (Bl. 62 und 63 d. A.) und verwies zur Begründung auf die geplante Stilllegung des Fuhrparks am Standort O.. Mit Schreiben vom 22.02.2008 kündigte sie alsdann das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 28.02.2009. Auch die drei anderen Kraftfahrer erhielten eine betriebsbedingte Kündigung. Der vierte Fahrer, das Betriebsratsmitglied C., trat zum 30.11.2008 in den Ruhestand.
Mit seiner am 03.03.2008 beim Arbeitsgericht Nürnberg anhängig gemachten Klage, die mit Beschluss vom 20.03.2008 an das örtlich zuständige Arbeitsgericht Duisburg verwiesen worden ist, hat der Kläger zunächst die Rechtsunwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung geltend gemacht, die er für sozial ungerechtfertigt hält.
Er hat darüber hinaus hilfsweise die Zahlung eines Nachteilsausgleichs geltend gemacht und insoweit die Auffassung vertreten, dass die Stilllegung des Fuhrparks eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG darstelle. Der Fuhrpark sei nämlich ein wesentlicher Betriebsteil im Sinne der genannten Vorschrift; auf die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG komme es angesichts des Kleinbetriebscharakters des Standorts O. nicht an. Zudem erfordere die zukünftige Fremdvergabe der bisher durch den Fuhrpark wahrgenommenen Tätigkeiten zusätzliche Verwaltungsleistungen im Hinblick auf Bestellungen und Dispositionen. Da die Beklagte die danach vorliegende Betriebsänderung ohne Interessenausgleich durchgeführt hätte, sei sie zur Zahlung einer Abfindung zu verpflichten.
Der Kläger hat – nach Rücknahme der Kündigungsschutzklage – zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine angemessene, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellte Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG, §§ 9, 10 KSchG zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Fuhrpark keinen wesentlichen Betriebsteil dargestellt hätte. Durch die Tätigkeiten im Fuhrpark seien nur 13 % des Umsatzes erwirtschaftet worden; mit den Fahrzeugen des Fuhrparks wären auch schon in der Vergangenheit nur circa 10 % der erteilten Aufträge abgearbeitet worden. Infolge der Stilllegung des Fuhrparks hätten sich darüber hinaus der Geschäftszweck und der Geschäftsablauf am Standort O. nicht wesentlich geändert. Für den weiterhin beschäftigten Disponenten sei es nämlich unerheblich, ob er seine Transportaufträge an eigene Kraftfahrer oder an fremde Frachtführer erteilte. Die kundenseitige Auftragsabwicklung von der Auftragsannahme bis hin zur Fakturierung und Verbuchung bliebe durch die Umstellung von Selbsteintritt auf fremde Frachtführer völlig unberührt. Die Prüfung von Eingangsrechnungen, die den eigenen Fuhrpark beträfen, entfalle zwar durch den Einsatz fremder Frachtführer; stattdessen komme aber die Prüfung und Verbuchung der eingehenden Frachtführerrechnungen hinzu. Insgesamt führe deshalb die Fremdvergabe von Transportleistungen im Vergleich zum Einsatz eines eigenen Fuhrparks eher zu einer geringfügigen Verringerung von Verwaltungsleistungen. Durch die Stilllegung des eigenen Fuhrparks werde sich danach auch das Beschäftigungsvolumen der in der Niederlassung O. ...