Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsänderung. Kleinbetrieb. Nachteilsausgleich

 

Leitsatz (amtlich)

1. Legt der Arbeitgeber im Kleinbetrieb (hier: 13 Arbeitnehmer) einen abgrenzbaren Teil (hier: Fuhrpark) still, ist eine interessenausgleichspflichtige Betriebsänderung dann gegeben, wenn dieser Teil „wesentlich” für den Kleinbetrieb war.

2. Für die erforderliche quantitative Betrachtung ist die Staffel des § 17 Abs. 1 KSchG unter Beachtung ihres für größere Betriebe abnehmenden Verlaufs „nach unten” fortzusetzen. Der Betriebsteil ist als wesentlich anzusehen, wenn in ihm mindestens 30% der Arbeitnehmer des Betriebs beschäftigt waren. Dabei kommt es auf die im stillgelegten Teil vorhandenen Arbeitsplätze an, so dass auch Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind, die ohnehin wegen Erreichens der Altersgrenze ausscheiden. Zu berücksichtigen ist auch, ob es sich um Voll- oder um Teilzeitarbeitsplätze handelt.

3. Das zusätzliche Vorliegen von wirtschaftlicher Bedeutung des stillgelegten Teils für den gesamten Kleinbetrieb ist zur Begründung der Wesentlichkeit auch im Kleinbetrieb nicht erforderlich (entgegen LAG Düsseldorf vom 09.03.2009, 5 Sa 1626/08).

4. Zur Berechnung des Nachteilsausgleichs nach § 113 Abs. 3 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG § 111 S. 3 Nr. 1, § 113 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Urteil vom 23.09.2008; Aktenzeichen 4 Ca 1659/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 09.11.2010; Aktenzeichen 1 AZR 708/09)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.09.2008, Az. 4 Ca 1659/08, werden zurückgewiesen.

II. Bei der Kostenentscheidung erster Instanz hat es sein Bewenden. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 2/7, die Beklagte 5/7 zu tragen.

III. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung einer ehemaligen Arbeitgeberin zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs an den gekündigten Arbeitnehmer.

Der am 30.05.1947 geborene Kläger war seit 25.08.1967 bei der Beklagten als Kraftfahrer für die Niederlassung N… beschäftigt. Er erhielt zuletzt ein Bruttoentgelt ohne Spesen von etwa 2.600,– EUR monatlich, mit Spesen von etwa 2.900,– EUR monatlich. Die Beklagte beschäftigte zuletzt insgesamt über 250 Arbeitnehmer in einer größeren Zahl von Niederlassungen. In der Niederlassung N…, in der ein Betriebsrat besteht, beschäftigte sie zuletzt 13 Arbeitnehmer, davon fünf in Vollzeit als Kraftfahrer; der Beschäftigte Ni…, der seit Dezember 2000 Altersruhegeld bezieht, wurde darüber hinaus sporadisch zur Durchführung von Kleintransporten eingesetzt. Die sieben in der Verwaltung tätigen Arbeitnehmer, unter denen drei als geringfügig beschäftigte Aushilfen tätig sind, disponieren und organisieren Transportdienstleistungen. 87% des in der Niederlassung N… erzielten Umsatzes wurden über die fremdvergebenen Transporte erzielt.

Mit Schreiben vom 22.02.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Wirkung zum 28.02.2009 mit der Begründung, sie habe sich entschlossen, den Fuhrpark der Niederlassung N… stillzulegen. Drei weitere Kraftfahrer erhielten ebenfalls Kündigungen zum genannten Zeitpunkt. Der Kraftfahrer B…, Betriebsratsmitglied, schied wegen Erreichens der Altersgrenze ohnehin zum 30.11.2008 aus. Der Mitarbeiter Ni… sollte weiter in geringem Umfang und von Fall zu Fall für die Durchführung von Kleintransporten zur Verfügung stehen.

Mit seiner am 11.03.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger zunächst gegen die Wirksamkeit der Kündigung gewandt und auch Weiterbeschäftigung beantragt. Mit am 19.06.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz hat er den Anspruch gestellt, eine Abfindung nach § 113 BetrVG wegen fehlender Durchführung eines Interessenausgleichs zu zahlen. Zuletzt hat er allein diesen Antrag aufrechterhalten und Kündigungsschutz- sowie Weiterbeschäftigungsantrag zurückgenommen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Anspruch auf Abfindung ergebe sich daraus, dass die Beklagte mit der Schließung des Fuhrparks der Niederlassung N… eine Betriebsänderung durchgeführt habe, ohne mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich verhandelt zu haben. Die Personalreduzierung in der Niederlassung N… betreffe einschließlich des als Fahrer eingesetzten Arbeitnehmers Ni… sechs von 13 Arbeitnehmern und damit einen wesentlichen Betriebsteil. Ohnehin handele es sich beim nunmehr stillgelegten Fuhrpark um einen wesentlichen Betriebsteil. Jedenfalls in Betrieben mit nicht mehr als 20 Arbeitnehmern könne auf die Regelwerte des § 17 Abs. 1 KSchG nicht zurückgegriffen werden. Quantitativ handele es sich um die Stilllegung eines Betriebsteils mit einer Belegschaft von 46% des Ursprungsbetriebs. Qualitativ sei der Fuhrpark als betriebswirtschaftlich und technisch abgrenzbare Organisation innerhalb des Betriebes zu betrachten. Der Fuhrpark sei sozusagen die Herzkammer der Niederlassung N… gewesen, ein wichtiger Organisationsbereich mit drei L...

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