Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines Kirchenmusikers auf Wiedereinstellung nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen eines außerehelichen Verhältnisses und Feststellung einer Konventionsverletzung den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Aufnahme einer neuen geschlechtlichen Beziehung stellt eine schwerwiegende sittliche Verfehlung i.S. von Art. 5 Abs. 2 1. Alt. der GrO dar und ist damit als Kündigungsgrund i.S. von § 1 Abs. 2 KSchG geeignet.
2. Auch wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Anschluss an die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage und die Zurückweisung der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Art. 8 der EMRK festgestellt hat, so besteht gleichwohl kein Anspruch auf Wiedereinstellung, da die Arbeitgeberin sich spätestens nach rechtskräftiger Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde darauf einstellen durfte, den Kläger nicht mehr beschäftigen zu müssen.
Normenkette
GrO Art. 5 Abs. 2 Alt. 1; EMRK Art. 8, 41
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 22.11.2013; Aktenzeichen 5 Ca 2480/13) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 22.11.2013 - 5 Ca 2480/13 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Wiedereinstellung und Beschäftigung als Kirchenmusiker.
Der am 02.01.1957 geborene Kläger ist katholischer Kirchenmusiker und war nach dem kirchenmusikalischen A-Examen seit dem 15.11.1983 bei der beklagten katholischen Kirchengemeinde St. M. in F. als A-Kirchenmusiker (Organist und Chorleiter) beschäftigt. Seit dem 01.01.1985 war ihm außerdem die Aufgabe eines Dekanatskirchenmusikers des Dekanats F.-S. übertragen worden.
Im Jahre 1994 trennten sich der Kläger und seine Ehefrau, die zwei gemeinsame Kinder haben, einvernehmlich und teilten dies im Januar 1995 der beklagten Kirchengemeinde mit. Mit Schreiben vom 15.07.1997 hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31.03.1998 fristgerecht gekündigt. Der Kläger hat diese Kündigung vor dem Arbeitsgericht Essen unter dem Aktenzeichen 6 Ca 2708/97 angegriffen. Zur Begründung hat die Beklagte in dem Kündigungsschutzverfahren vorgetragen, der noch verheiratete Kläger unterhalte eine außereheliche Beziehung zu Frau Rechtsanwältin N., die seine damalige und jetzige Prozessbevollmächtigte ist. Seit Ende 1997 haben der Kläger und Frau N. eine gemeinsame Tochter. Sowohl den Kündigungsvorwurf, ein außereheliches Verhältnis eingegangen zu sein, als auch die Vaterschaft des von Frau N. geborenen Kindes hat der Kläger zunächst in Abrede gestellt. Nach Ausspruch der Kündigung beantragte die Ehefrau des Klägers die Scheidung. Die Ehe wurde im August 1998 geschieden.
Das Arbeitsgericht Essen hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 09.12.1997 - 6 Ca 2708/97 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass eine verhaltensbedingte Kündigung des Klägers auch unter Berücksichtigung der katholischen Glaubenslehre noch nicht den Anforderungen des § 1 Abs. 1 KSchG genüge, weil dem Kläger unter Berücksichtigung von Artikel 5 Abs. 1 S. 2 der Grundordnung der Katholischen Kirche für den kirchlichen Dienst im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrO) eine Abmahnung hätte erteilt werden müssen. Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Essen hat die Beklagte unter dem Aktenzeichen 7 Sa 425/98 bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf Berufung eingelegt.
Am 22.12.1997 sprach die Beklagte eine zweite Kündigung zum 30.06.1998 aus. Mit Urteil vom 04.12.1998 - 6 Ca 3127/98 wies das Arbeitsgericht Essen die Klage des Klägers gegen diese Kündigung ab. Der Kläger hat gegen diese Entscheidung bei dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf unter dem Aktenzeichen 10 Sa 234/99 Berufung eingelegt.
Mit Urteil vom 13.08.1998 - 7 Sa 425/98 wies das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 09.12.1997 zurück. Es folgte im Wesentlichen den Ausführungen des Arbeitsgerichts und wies darauf hin, dass die Arbeitsgerichte bei der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zum Kündigungsrecht an die Vorgaben der Religionsgemeinschaften gebunden seien, soweit diese Vorgaben den anerkannten Maßstäben der verfassten Kirche Rechnung trügen und sich die Gerichte durch die Anwendung dieser Vorgaben nicht in Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung begäben, wobei die Arbeitsgerichte jedoch sicherzustellen hätten, dass die Religionsgemeinschaften nicht in Einzelfällen unannehmbare Anforderungen an die Loyalität ihrer Arbeitnehmer stellten. Der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, der Kläger sei eine dauerhafte Verbindung mit Frau N. eingegangen, worin eine schwere sittliche Verfehlung im Sinne von Artikel 5 Abs. 2 1. Alt. a. E. der GrO liegen könnte, brauche jedoch streitentscheidend nicht nachgegangen zu werden, weil die Parteivernehmung des Klägers nicht erbracht ...