Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung nach dem MTV-Chemie. Begriff des nicht erfüllbaren Urlaubsanspruchs im Sinne von § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie

 

Leitsatz (amtlich)

1.) "Nicht erfüllbar" i. S. v. § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie sind Urlaubsansprüche des ausgeschiedenen Arbeitnehmers im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Surrogatstheorie erst dann, wenn bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis der Urlaubsanspruch nicht mehr innerhalb des auf den 31. März des Folgejahres erweiterten Urlaubsjahres hätte erfüllt werden können (möglicherweise a. A. BAG 13.11.2012 - 9 AZR 64/11 - Rz. 19, NZA 2013, 399).

2.) § 12 Abschn. IV Ziff. 3 gewährt i. V. m. § 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 1 MTV-Chemie ungeachtet der Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs einen Rechtsanspruch auf Urlaubsabgeltung für das Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer wegen Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen voller Erwerbsminderung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 4; Manteltarifvertrag für die chemische Industrie (MTV-Chemie) § 12 Abschn. I u. Abschn. IV

 

Verfahrensgang

ArbG Wesel (Entscheidung vom 04.02.2015; Aktenzeichen 4 Ca 2387/14)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 04.02.2015 - 4 Ca 2387/14 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Abgeltung tarifvertraglichen Mehrurlaubs.

Der am 21.08.1951 geborene und schwerbehinderte Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin langjährig als gewerblicher Mitarbeiter tätig. Das Arbeitsverhältnis endete durch den Renteneintritt des Klägers mit dem 31.08.2014.

Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Chemische Industrie (im Folgenden: MTV-Chemie) kraft vertraglicher Vereinbarung Anwendung. § 12 MTV-Chemie enthält u.a. folgende Regelung:

"I.

Urlaubsanspruch

[...]

5. Im Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer für jeden angefangenen Beschäftigungsmonat im Unternehmen Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs. Scheidet der Arbeitnehmer wegen Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen voller Erwerbsminderung aus, so erhält er den vollen Jahresurlaub, es sei denn, dass das Arbeitsverhältnis im Eintrittsjahr endet. Der Anspruch entfällt, wenn der Arbeitnehmer vor seinem Ausscheiden mindestens 12 Monate lang nicht gearbeitet hat.

[...]

11. Der Urlaub ist spätestens bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres zu

gewähren.

Der Urlaub erlischt, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.

II.

Urlaubsdauer

1. Der Urlaub beträgt 30 Urlaubstage.

[...]

IV.

Urlaubsabgeltung

1. Der Urlaub kann grundsätzlich nicht abgegolten werden.

2. Soweit jedoch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsanspruch noch nicht erfüllt ist, ist er abzugelten. Nicht erfüllbare Urlaubsansprüche sind nicht abzugelten.

3. Die Urlaubsabgeltung ist für das Urlaubsjahr zulässig, in dem der Arbeitnehmer wegen des Bezugs einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen voller Erwerbsminderung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

4. Die Urlaubsabgeltung ist in Höhe des Urlaubsentgelts zuzüglich des Urlaubsgelds zu gewähren; das Urlaubsentgelt ist in diesem Falle nach dem Entgelt bzw. den Monatsbezügen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu berechnen.

5. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist nicht übertragbar."

Im Jahr 2014 war der Kläger bis einschließlich 01.09.2014 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete an ihn Urlaubsabgeltung für den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 20 Tagen sowie für den gesetzlichen Zusatzurlaub für Schwerbehinderte von 5 Tagen. Mit Schreiben vom 08.09.2014 machte der Kläger die Abgeltung des vollen tariflichen Jahresurlaubs aus 2014 und damit weiterer 10 Urlaubstage in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 1.628,40 € brutto geltend.

Mit seiner am 16.10.2014 beim Gericht eingegangenen Klage verfolgt er sein Begehren weiter. Er hat die Auffassung vertreten, dass sein Urlaubsanspruch nicht unerfüllbar gewesen sei, da seine Arbeitsunfähigkeit nur bis zum 01.09.2014 gedauert habe. Zudem habe sein Arbeitsverhältnis im Jahr des Renteneintritts geendet, so dass er schon aufgrund von § 12 Abschn. I Ziff. 5 i.V.m. Abschn. IV Ziff. 3 MTV-Chemie Anspruch auf Abgeltung des vollen tariflichen Urlaubs habe.

Demgegenüber hat sich die Beklagte auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.11.2012 (9 AZR 64/11) berufen und geltend gemacht, dass der MTV-Chemie ein eigenständiges Urlaubsregime enthalte, wonach nicht erfüllbarer Urlaub nicht abzugelten sei (§ 12 Abschn. IV Ziff. 2 Satz 2 MTV-Chemie). Der Urlaubsanspruch des Klägers sei in diesem Sinne nicht erfüllbar gewesen, da es insoweit auf den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses ankomme und der Kläger bis dahin arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Soweit § 12 Abschn. IV Ziff. 3 die Urlaubsabgeltung bei Ausscheiden wegen des Bezugs einer Altersrente für "zuläs...

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