Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersetzung der Nachwirkung eines allgemeinverbindlichen Tarifvrtrages durch eine frühere individualrechtliche Abmachung. Tarifliche Bezugnahmeklausel
Leitsatz (amtlich)
Eine einzelvertragliche Regelung (hier: zur Höhe des Stundenlohnes), die vorübergehend durch einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag verdrängt wird, ersetzt als „andere Abmachung” i.S.v. § 4 Abs. 5 TVG jedenfalls dann den nachwirkenden Tarifvertrag, wenn nach der Regelung das geltende Tarifniveau nicht unterschritten wird.
Leitsatz (redaktionell)
Für den Ausschluss der Nachwirkung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags nach § 4 Abs. 5 TVG ist es ausreichend, dass die vertragliche Vereinbarung dahingehend auszulegen ist, dass sie – zumindest auch – die Nachwirkung eines beendeten oder nicht mehr allgemeinverbindlichen Tarifvertrags beseitigen soll. Die Auslegung einer vertraglich originären Vergütungsvereinbarung oder dortigen Verweisung auf die tariflichen Regelungen der Branche kann ergeben, dass die Tarifverträge nur für die Dauer ihrer Allgemeinverbindlichkeit die Vertragsvereinbarungen überlagern bzw. dass die Anwendung der bisherigen Tarifregelung erst enden soll, wenn eine tarifliche Neuregelung vorliegt.
Normenkette
TVG § 4 Abs. 5, § 5
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 23.05.2007; Aktenzeichen 10 Ca 1290/07) |
Tenor
Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 23.05.2007 und Klageabweisung im übrigen wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin eine Stundenvergütung von EUR 9,86 brutto zu zahlen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3; die Kosten erster Instanz die Klägerin zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A. Die Parteien streiten im Berufungsverfahren weiter um die Höhe des Stundenlohns.
Die Klägerin ist als Verkäuferin bei der Beklagten, die in E. eine Bäckerei und Konditorei betreibt, beschäftigt.
Im Anstellungsvertrag vom 01.08.2001 vereinbarten die Parteien u.a. folgendes:
1. Als allgemeine Regelung gelten die Bestimmungen der für das Verbandsgebiet Rheinland gültigen Tarifverträge, soweit in diesem Arbeitsvertrag keine anderen Regelungen festgelegt sind.
…
5. Das Bruttoentgelt beträgt 9,86 Euro/Std.
6. Alle Zahlungen, die über das Tarifgehalt geleistet werden, sind freiwillig. Aus ihrer Gewährung kann kein Rechtsanspruch auf eine Zahlung für die Zukunft abgeleitet werden, auch wenn die Zahlungen wiederholt und regelmäßig geleistet worden sind. Übertarifliche Zulagen gelten als Pauschalabtretung für in angemessener Weise anfallende Mehrarbeit.
Auf das Arbeitsverhältnis der nicht tarifgebundenen Parteien fanden die bis Mitte 2006 für allgemein verbindlich erklärten Lohn- und Gehaltstarifverträge für das Bäckerhandwerk in Nordrhein-Westfalen Anwendung. Nach dem LGTV vom 19.05.2000 betrug der für die Klägerin maßgebende Stundenlohn im Jahr 2001 Euro 9,62, nach dem LGTV vom 12.07.2002 der ab dem 01.07.2002 gültigen Stundenlohn Euro 9,86 und nach dem LGTV vom 14.01.2004 der Stundenlohn ab dem 01.04.2004 Euro 10,05.
Durch (nicht allgemeinverbindlichen) Entgelttarifvertrag vom 21.08.2006 änderten die Tarifvertragsparteien mit Wirkung vom 01.10.2006 die Vergütungsstruktur: Der Stundenlohn für Bäckereifachverkäuferinnen und ungelernte Verkaufskräfte ab 5. Jahr beläuft sich auf Euro 9,22 bzw. Euro 9,36 (§ 2); die durch die neue Eingruppierung eintretende Einkommensabsenkung wird auf maximal drei Prozent begrenzt (§ 3).
Mit der vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf erhobenen Feststellungsklage hat die Klägerin die Zahlung eines Stundenlohns von Euro 10,05, zumindest von Euro 9,86 geltend gemacht. Die Beklagte hat demgegenüber gemeint, dass der Klägerin nach § 3 i.V.m § 2 des Entgelttarifvertrages vom 21.08.2006 ein Stundenlohn von Euro 9,75 zustehe.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 23.05.2007 der Feststellungsklage stattgegeben. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte das Urteil, auf das hiermit zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, mit Rechtsausführungen an. Die Klägerin verteidigt das Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
B. Die Berufung ist teilweise begründet. Die Beklagte hat die Tätigkeit der Klägerin nicht mit einem Stundensatz von Euro 10,05 sondern von Euro 9,86 zu vergüten.
I. Die Feststellungsklage ist zulässig.
Dem Feststellungsinteresse der Klägerin steht nicht der Grundsatz des Vorrangs der Leistungsklage entgegen. Zwar lassen sich die Differenzbeträge für die zurückliegenden Vergütungszeiträume beziffern. Die Rechtskraft einer auf Zahlung der entsprechenden Differenzbeträge gerichteten Klage klärt jedoch nicht den Streit der Parteien für die Zukunft. Da die Klage auf zukünftige Leistung nur unter Einschränkungen zulässig ist (vgl. BAG, Urte...