Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte ordentliche Kündigung. Kein Betriebsübergang bei reiner Funktionsnachfolge. Kein Betriebsteilübergang bei Flughafenstationen. Örtliche Zuständigkeit der Agentur für Arbeit für Massenentlassungsanzeige bei aufgelösten Betriebsstrukturen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Stilllegung des gesamten Betriebs oder eines Betriebsteils durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können.
2. Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung schließen einander aus. Die bloße Fortführung der Tätigkeit durch Auftragsnachfolge oder Funktionsnachfolge stellt keinen Betriebsübergang dar.
3. Fehlt es den Flughafenstationen an einer organisatorisch eigenständigen Leitungsstruktur, können sie kein übergangsfähiger Betriebsteil sein. Auch die Wahrnehmung eines Teilzwecks im Rahmen des Gesamtzwecks des Flugbetriebs durch Durchführung von Flügen auf fremde Rechnung ("wet-lease") bedarf keiner organisierten Gesamtheit von Personen und Sachen und ist deshalb kein übergangsfähiger Betriebsteil.
4. Sinn und Zweck der Massenentlassungsanzeige sind wesentliche Anhaltspunkte für die örtliche Zuständigkeit bei der Bundesagentur für Arbeit. Dort, wo sich typischerweise die sozio-ökonomischen Auswirkungen von Massenentlassungen entfalten, soll die Agentur zuständig sein. Maßgeblich ist deshalb bei einer aufgelösten Betriebsstruktur die letzte feststellbare örtliche Bindung der Arbeitnehmer an den - ehemaligen - Betrieb.
Normenkette
RL 98/59/EG Art. 1 Buchst. b); RL 2002/14/EG Art. 2 Buchst. e); GG Art. 103 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 17 Abs. 2; BGB §§ 134, 613a Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1, § 117 Abs. 2; ZPO § 138; TVPV Cockpit § 74 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 09.04.2018; Aktenzeichen 5 Ca 6538/17) |
Nachgehend
Tenor
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.04.2018 - Az: 5 Ca 6538/17 - wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und über den Entgeltanspruch des Klägers für November 2017.
Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in C..
Der am 19.03.1968 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger war seit dem 08.01.2001 bei der Schuldnerin als Flugzeugkapitän/Pilot beschäftigt. Seit dem 02.06.2010 wurde er darüber hinaus als Type Rate Examiner, mithin als Ausbilder eingesetzt. Sein monatliches Bruttoentgelt betrug zuletzt durchschnittlich 19.066,77 €. Nach Ziffer 3 des ursprünglichen, schriftlichen Arbeitsvertrages vom 28.12.2000 war der Kläger in Q. stationiert. Der Vertrag nahm zudem unter Ziffer 4 auf den Rahmenvertrag für Piloten Bezug, wegen dessen Wortlauts im Übrigen auf Blatt 10 ff. der Akte Bezug genommen wird, und der unter § 6 zur "Verlegung des Einsatzortes" Folgendes regelte:
Der Pilot verpflichtet sich, bei Bedarf unter Berücksichtigung der halbjährlichen Flugplanung den Einsatzort nach Vorankündigung des Arbeitgebers von 3 Monaten an den neuen Einsatzort zu verlegen."
Zuletzt war der Kläger in E. als dienstlichem Einsatzort (Homebase) stationiert.
Bei der Schuldnerin handelte es sich bis Ende des Jahres 2017 um die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, die von ihren Drehkreuzen in E. und C-U hauptsächlich Ziele in ganz Europa sowie in Nordafrika und Israel anflog. Sie beschäftigte mit Stand August 2017 6.121 Arbeitnehmer, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Keines der von der Schuldnerin genutzten Flugzeuge stand vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Eigentum der Schuldnerin. Alle Flugzeuge waren von dieser geleast worden. Die Schuldnerin betrieb den Flugbetrieb mit den Flugzeugtypen der Airbus A 320-Familie sowie des Airbus A 330. Die A 320-Familie wurde hauptsächlich für die Mittel- und Kurzstrecke eingesetzt, der Flugzeugtyp A 330 hauptsächlich für die Langstrecke.
Die Schuldnerin verfügte über Stationen an den Flughäfen C, E., N., G., T., I., L., Q., O. und M.. Soweit Cockpitpersonal an anderen Flughäfen als dem vereinbarten Dienstort eingesetzt wurde, erfolgte dies in Form des sog. Proceeding, d.h. Arbeitsantritt war am Dienstort, von dem der Pilot oder Co-Pilot auf Kosten der Schuldnerin zu dem Einsatzflughafen transportiert wurde.
In C. war der Leiter des Flugbetriebs ("Head of Flight Operations") ansässig. Diesem oblag die Leitung und Führung des Cockpitpersonals im operativen Geschäft der Schuldnerin. Er war für die Durchsetzung, Kontrolle und Einhaltung der Betriebsregeln im Bereich Cockpit einschließlich der Durchsetzung der Arbeitsanweisungen, die Rekrutierung und Neueinstellung...