Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachdienlichkeit einer Klageerweiterung i.S.d. § 533 Nr. 1 ZPO. Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB. Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen Alt- und Neuverträgen bei dynamischen Bezugnahmeklauseln. Mittelbare Altersdiskriminierung bei Beschäftigten mit Altverträgen im Vergleich zu jüngeren Beschäftigten mit Neuverträgen. Bestimmtheit des Feststellungsantrags nach § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. Auslegung einer vor dem 01.01.2002 vereinbarten arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel (Altvertrag) als sog. Gleichstellungsabrede.
2. Zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Verhältnis von Beschäftigten mit Alt- und Neuverträgen bei der weiteren Vereinbarung von dynamischen Bezugnahmeklauseln nach dem zeitlichen Ende des vom Bundesarbeitsgericht gewährten Vertrauensschutzes (hier angeblich von 2002 bis 2013).
3. Zur der mittelbaren Diskriminierung wegen des Alters im Verhältnis von Beschäftigten mit Alt- und Neuverträgen bei der weiteren Vereinbarung von dynamischen Bezugnahmeklauseln nach dem zeitlichen Ende des vom Bundesarbeitsgericht gewährten Vertrauensschutzes (hier angeblich von 2002 bis 2013).
Leitsatz (redaktionell)
1. Klageerweiterungen in der Berufungsinstanz sind zulässig, wenn sie sachdienlich sind. Maßgeblich für die nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilende Sachdienlichkeit ist der Gedanke der Prozesswirtschaftlichkeit, für den es entscheidend darauf ankommt, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung zu einer sachgemäßen und endgültigen Erledigung des Streits zwischen den Parteien führt und einem andernfalls zu erwartenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt.
2. Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie sie die Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist zwar von dem Wortlaut auszugehen, aber zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände bei der Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.
3. Bei einem Antrag auf Feststellung, dass ein bestimmter Tarifvertrag, ggf. in seiner jeweiligen Fassung, auf ein Arbeitsverhältnis anzuwenden ist, muss sich die Identität des Tarifvertrags regelmäßig aus seiner Bezeichnung, den tarifschließenden Parteien und dem Abschlussdatum ergeben.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 611a Abs. 2, § 613a Abs. 1; ZPO §§ 321, 520 Abs. 3, § 529 Abs. 1, §§ 533, 253 Abs. 2 Nr. 1; AGG §§ 1, 3 Abs. 2, § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 06.08.2021; Aktenzeichen 4 Ca 732/21) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 06.08.2021 - 4 Ca 732/21 - und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgericht Wuppertal vom 06.08.2021 - 4 Ca 733/21 - werden zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin und dem Kläger je zur Hälfte auferlegt.
- Die Revision wird zugelassen, soweit die Klägerin und der Kläger mit den Zahlungsanträgen unterlegen sind. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob auf ihr Arbeitsverhältnis die Tarifverträge der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW statische oder dynamische Anwendung finden.
Die am 04.05.1957 geborene Klägerin war seit dem 11.02.1991 auf der Basis des am 19.02.1991 geschlossenen Arbeitsvertrages als Maschinenarbeiterin bei der Firma I. (im Folgenden: I.) im Betrieb in Wuppertal. beschäftigt. Der am 12.06.1963 geborene und heute mit der Klägerin verheiratete Kläger war seit dem 16.05.1998 auf der Basis des Arbeitsvertrags vom 24.05.1988 als Betriebselektriker bei der Firma I. im Betrieb in Wuppertal beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag der Klägerin vom 19.02.1991 und in dem Arbeitsvertrag des Klägers vom 24.05.1988 hieß es zu Ziffer 2 jeweils:
"Die Einstellung erfolgt zunächst versuchsweise für 4 Arbeitswochen d.h. bis zum 11.03.1991 [Klägerin] 13.06.88 [Kläger]. Während dieser Zeit kann das Arbeitsverhältnis mit zweitägiger Frist zum Schichtschluss gekündigt werden. Wird das Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus verlängert, gelten die in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung."
Die Firma I. war von ihrer Gründung bis zum 31.08.2013 tarifgebundenes Mitglied in der Vereinigung Bergischer Unternehmerverbände e.V.. Mit Ablauf des 31.12.2013 wechselte I. zum 01.01.2014 in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung. Mit Schreiben vom 23.05.2015 wandte sich der Geschäftsführer der Firma I. an alle Beschäftigten u.a. auch an den Kläger. In dem Schreiben vom 25.03.2015 hieß es u.a.:
"...
Wie Sie wissen, hat das Tarifgebiet NRW im Februar 2015 das verhandelte Ergebnis aus Baden-Württemberg übernommen, woraus sich ab 01.04.2015 eine Entgelterhöhung und eine Sonderzahlung im März 2015 ergeben.
Leider gibt das verhandelte Ergebnis nicht die wirtschaftliche Realität ...