Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderkündigungsschutz. schwerbehinderte Menschen. Mitteilung der Schwerbehindertenanerkennung
Leitsatz (amtlich)
1) Der Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX besteht auch dann noch, wenn der schwerbehinderte Mensch dem Arbeitgeber innerhalb einer Regelfrist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung das Vorliegen der Schwerbehinderung mitteilt. Eine nur kurze Überschreitung der 3-Wochen-Frist ist unschädlich.
2) Aus der Mitteilung muss der Arbeitgeber erkennen können, dass sich der schwerbehinderte Arbeitnehmer auf den Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX beruft.
Normenkette
SGB IX §§ 69, 85, 90 Abs. 2a
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 19.04.2011; Aktenzeichen 7 Ca 762/11) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.04.2011 – 7 Ca 762/11 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.
Der am 11.07.1957 geborene Kläger ist auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 10.12.2003 seit dem 01.01.2004 bei der Beklagten als Sachbearbeiter beschäftigt. Seine Bruttomonatsvergütung betrug zuletzt 2.270,00 EUR. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung.
Der Kläger war in der Vergangenheit wie folgt arbeitsunfähig erkrankt:
Kalenderjahr |
Krankheitstage |
Lohnfortzahlungskosten |
2008 |
99 |
EUR 5.871,87 |
2009 |
37 |
EUR 4.585,40 |
2010 |
97 |
EUR 9.598,95 |
Unter dem 08.07.2010 führte die Beklagte mit dem Kläger ein Krankenrückkehrgespräch und erstellte hierüber ein auch vom Kläger unterzeichnetes Protokoll (Bl. 51 d.A.). Nachdem der Kläger auch danach noch mehr als 40 Arbeitstage arbeitsunfähig erkrankt war, kündigte die Beklagte das mit ihm bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.01.2011 fristgemäß zum 31.03.2011.
Mit seiner am 08.02.2011 beim Arbeitsgericht Düsseldorf anhängig gemachten Klage, die der Beklagten am 21.02.2011 zugestellt wurde, hat der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. In der Klageschrift heißt es hierzu auszugsweise wörtlich wie folgt:
„Der Kläger ist mit Bescheid des Landrates Rheinkreis Neuss vom 11. April 2002 als schwerbehindert anerkannt. Seit dem 5. Februar 2009 ist der Grad der Behinderung von 40 % festgestellt. Eine Zustimmung des Integrationsamts gemäß § 85 SGB IX zur Kündigung ist nicht erfolgt.”
Der Kläger hat vorgetragen, ihm sei zunächst ein Grad der Behinderung von 40 zuerkannt worden. Auf seinen weitergehenden Antrag vom 19.07.2010 hätte der Rhein-Kreis Neuss dann mit Bescheid vom 24.02.2011 einen Grad der Behinderung von 70 festgestellt, und zwar mit Wirkung ab der Antragstellung.
Der Kläger hat hierzu die Rechtsauffassung vertreten, dass ihm der Sonderkündigungsschutz nach dem Sozialgesetzbuch IX zustünde, da er die Beklagte rechtszeitig auf seine Behinderung hingewiesen hätte. Mangels Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX erweise sich seine Kündigung dann als nichtig.
Der Kläger hat weiter gemeint, dass auch keine negative Gesundheitsprognose vorläge. Im Dezember 2010 sei als Grund für seine häufigen Fehlzeiten eine Schlafstörung diagnostiziert worden. Infolge der danach verordneten Therapie hätte sich die „exzessive Tagesschläfrigkeit” des Klägers schon vollständig zurückgebildet.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die am 28.01.2011 zugegangene Kündigung nicht aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat gemeint, dass der Kläger seine Schwerbehinderung nicht rechtzeitig bekanntgegeben hätte. Aus der Klageschrift ergebe sich darüber hinaus nicht mit hinreichender Sicherheit, dass er sich auf den Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX berufen wollte; dieser greife bei einem Grad der Behinderung von 40 gerade noch nicht.
Mit Urteil vom 19.04.2011 hat die 7. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf – 7 Ca 762/11 – dem Klagebegehren entsprochen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger könne sich auf den Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX berufen, weil er die Beklagte mit der kurz nach Ablauf der 3-Wochenfrist des § 4 KSchG eingegangenen Klageschrift noch rechtzeitig informiert hätte. Das Arbeitsgericht hat weiter ausgeführt, der Kläger hätte auch hinreichend deutlich gemacht, dass er sich auf den Schutz des Sozialgesetzbuches IX berufen wollte. Zwar sei seine Aussage in der Klageschrift missverständlich, erfülle aber gleichwohl ihren Zweck, die Beklagte auf die Notwendigkeit hinzuweisen, das Integrationsamt einzuschalten.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 09.05.2011 zugestellte Urteil mit einem am 17.05.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 01.08.2011 – mit einem am 27.07.2011 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Sie wiederhol...