Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsteilübergang und identitätswahrende Fortführung der wirtschaftlichen Einheit. Betriebsübergang nach dem Recht der Europäischen Union. Keine identifizierbare wirtschaftliche und organisatorische Einheit bei einzelnen Flugzeugen, Abflugstationen, Langstrecke oder Wet Lease eines Luftverkehrsunternehmens im Sinne eines Teilbetriebsübergangs. Schriftformerfordernis bei Kündigungserklärungen. Ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren mit der Personalvertretung vor dem Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen. Zuständige Agentur für Arbeit für die Massenentlassungsanzeige für das fliegende Personal bei mehreren Abflugstationen. Unrichtige Angabe der Mitarbeiterzahl kein Grund für eine Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige. Rechtliche Einordnung eines Anspruchs auf Nachteilsausgleich im Insolvenzverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Abgrenzung des Betriebs und eines übergangsfähigen Betriebsteils eines Luftfahrtunternehmens.

2. Zu Fragen einer wirksamen Massenentlassungsanzeige.

3. Zur Frage eines Nachteilsausgleichsanspruchs

 

Normenkette

RL 2001/23/EG Art. 6; BGB §§ 123, 126 Abs. 1, § 613a Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 1-3, § 17 Abs. 2-3; TV Kabine § 74 Abs. 1; InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, § 113

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 07.06.2018; Aktenzeichen 7 Ca 1063/18)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 07.06.2018 - Az.: 7 Ca 1063/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Der Beitritt der Nebenintervenienten zu 1) und 2) wird zugelassen.

  • III.

    Die Kosten der Nebenintervention und des Zwischenstreits trägt die Klagepartei.

  • IV.

    Die Revision wird für die Klagepartei zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung in der Insolvenz, die Frage eines Betriebsübergangs sowie hilfsweise über das Bestehen eines Anspruchs auf Nachteilsausgleich und dessen insolvenzrechtliche Einordnung.

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden Schuldnerin) mit Sitz in C.. Der am 04.03.1963 geborene Kläger war seit dem 01.10.1989 bei der M. als Flugbegleiter beschäftigt. Im Jahr 2011 ging das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs im Zusammenhang mit einer aufnehmenden Verschmelzung auf die Schuldnerin über. Der Arbeitsvertrag enthielt u.a. folgende Regelungen:

"§ 4 Dienstlicher Einsatzort

1. Dienstlicher Einsatzort ist E..

2. Der Arbeitnehmer wird seinen Wohnsitz so wählen, daß er bei normaler Verkehrslage innerhalb von 60 Minuten nach Abruf den Dienst an dem entsprechenden Einsatzort antreten kann.

3....

...

§ 11 Mobilitätsklausel

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, bei Bedarf im Rahmen der halbjährlichen Flugplanung einmal im Zeitraum von zwei Jahren den dienstlichen Wohnsitz an den entsprechenden neuen Einsatzort zu verlegen. In diesem Fall übernimmt M. gemäß § 44 MTV die Umzugskosten. Die Versetzung erfolgt mit einer Vorankündigungsfrist von drei Monaten."

Der Kläger wurde auf verschiedenen Flugrouten und in wechselnden Flugzeugen mit unterschiedlichen Crews eingesetzt. Seine Homebase war der Flughafen E.. Zuletzt bezog er als Purser ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von ca. 5.078,00 € brutto.

Bei der Schuldnerin handelte es sich um eine Fluggesellschaft. Sie beschäftigte mit Stand August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. In der Firmenzentrale in C. waren die Verwaltung, das Head-Office, die Personalabteilung, die Buchhaltung, der Vertrieb und die IT-Abteilung ansässig. Zudem waren die verantwortlichen Personen für den Flugbetrieb, Ground Operations, Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit und der verantwortliche Flugbetriebsleiter in C. stationiert. Zur Abfertigung des Passagieraufkommens verfügte die Schuldnerin u.a. an den Flughäfen C.-U., E., G., N., T., I., M. und O.. über einzelne Stationen.

Bei der Organisationsstruktur des Kabinenpersonals im täglichen Flugbetrieb bekleidete die höchste operative Ebene im Bereich "Flug" Herr P. als "Head of Flight Operations" in C.. Diesem oblag die vollständige operative und administrative Leitung des gesamten Flugbetriebs. Ihm unterstellt waren die Abteilung Cabin Crew mit der Leiterin Frau X. sowie die Abteilung Crew Operations. Die individuellen Flugpläne wurden zuletzt in der Abteilung Crew Planning in C. für den gesamten Flugbetrieb erstellt. Bei personellen Engpässen erfolgte über das sog. "proceeding" das Einsetzen des Flugpersonals außerhalb der Heimatflughäfen. Der Leiterin der Abteilung Cabin Crew Frau X. oblag die Durchsetzung, Kontrolle und Einhaltung aller Betriebsregeln im Bereich Kabine, d.h. insbesondere die Durchsetzung von Arbeitsanweisungen, die Rekrutierung und Neueinstellung sowie die Personalplanung des gesamten Kabinenpersonals einschließlich der Begründung, Beendigung oder Änderung von Arbeitsverhältnissen. Ihr unterstellt waren die Regionalmanager und zwar der fü...

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