Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässige Betriebsvereinbarung zur Entstehung des Anspruchs auf betriebliche Invaliditätsrente erst ab Ausstellung des Rentenbescheids. Unterschiedlich lange Bearbeitungsdauer bei den Versorgungsämtern bei Invaliditätsrente ab dem Zeitpunkt der Ausstellung des Rentenbescheids kein Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist zulässig, in einer Betriebsvereinbarung zu regeln, dass erst mit der Ausstellung des Rentenbescheides ein Anspruch auf Bezug einer betrieblichen Invaliditätsrente entsteht. Soweit die Betriebsparteien dabei in Kauf nehmen, dass Ungleichheiten aufgrund unterschiedlich langer Bearbeitungszeiten bei den Versorgungsämtern entstehen, liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG vor. Die Betriebsparteien haben ihren diesbezüglichen Gestaltungsspielraum nicht überschritten.
2. Zumindest in einer solchen Konstellation ist es auch zulässig, zusätzlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Voraussetzung für den Bezug der Invaliditätsrente zu machen. Es ist dann ausgeschlossen, dass ein Versorgungsberechtigter sich gezwungen fühlt, sein Arbeitsverhältnis vorzeitig aufzugeben, ohne zu wissen, ob ihm überhaupt ein Rentenanspruch zusteht.
Normenkette
BetrAVG § 1 Abs. 1 S. 1; BetrVG § 75; BGB § 307; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 01.12.2021; Aktenzeichen 5 Ca 1460/21) |
Tenor
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 01.12.2021 - AZ. 5 Ca 1460/21 - wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über das Bestehen eines Anspruchs auf rückwirkende Gewährung einer Betriebsrente für den Zeitraum vom 01.09.2019 bis einschließlich April 2021.
Der am 28.07.1969 geborene, ledige Kläger war seit dem 01.08.1985 zunächst im W.-Konzern beschäftigt. Seit der Verschmelzung der W. mit S. ist er bei der Beklagten als Betriebswirt Einkauf beschäftigt. Die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung des Klägers betrug zuletzt 7.235,00 €. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endete mit Ablauf des 01.02.2021.
Der Kläger unterfällt den Regelungen der "Betriebsvereinbarung über das neue Versorgungswerk" der ehemaligen W. vom 22.11.1988 (im Folgenden: "NVW").
§ 6 Abs. 3 NVW sieht folgendes vor:
"3. Bezugszeitpunkt für die Feststellung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten ist bei Eintritt des Versorgungsfalles der Monat, in dem die Tabellenvergütungen des Vergütungstarifvertrages zuletzt tarifvertraglich angepasst worden sind."
In § 7 heißt es in der unter dem 04.09.2008 geänderten Fassung wie folgt:
"§ 7 Versorgungsfall, Übergangsgeld, Pension
1. Bei Eintritt des Versorgungsfalles wird der Versorgungsanwärter zum Pensionär. Ihm werden für die ersten drei Kalendermonate nach Eintritt des Versorgungsfalles Übergangsgeld und anschließend Pension gezahlt.
Die Höhe des Übergangsgeldes richtet sich nach den jeweils bei W. geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen.
2. Der Versorgungsfall tritt ein
a) mit Ablauf des Monats, in dem der Versorgungsanwärter die für ihn geltende Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (nachstehend vereinfachend "Regelaltersgrenze" genannt) erreicht hat,
oder
b) mit Ablauf des Monats, in dem der Versorgungsanwärter erstmals eine abschlagsfreie Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung als Vollrente in Anspruch genommen hat,
oder
c) mit Ablauf des Monats, in dem der Rentenbescheid über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für den Versorgungsanwärter durch einen Rentenversicherungsträger ausgestellt ist,
oder
d) mit Ablauf des Monats, in dem die tarifvertraglichen und die gesetzlichen Leistungen von Krankenbezügen/Krankengeldzuschuss und Krankentagegeld an den Versorgungsanwärter eingestellt werden, wenn im Anschluss daran durch Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens - in Zweifelsfällen durch ein Zusatzgutachten - weiterhin Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen und das Arbeitsverhältnis beendet wird.
3. Der Versorgungsfall tritt auf Verlangen eines Versorgungsanwärters ein, wenn der Monat abgelaufen ist, in dem
a) die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer vorzeitigen gesetzlichen Altersrente erfüllt sind
oder
b) der Rentenbescheid über die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit ausgestellt ist und er von der Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Gebrauch gemacht hat."
§ 20 MTV in der Fassung vom 15.03.1990 enthielt u.a. folgende Bestimmungen:
"[...]
10.Bei Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit endet - unter anteiliger Zahlung der Vergütung bis zum Monatsende - das Arbeitsverhältnis am Ausstellungstage des Rentenbescheids, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
11.Endet das Arbeitsverhältnis aus den unter Ziffern 8 - 10 genannten Gründen, so wird für die sich an den Austrittsmonat anschließenden drei Monate ein Ü...