Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchsetzung der Entlassung eines Arbeitnehmers im Verfahren gemäß § 104 BetrVG. Bindungswirkung der Entscheidung im Beschlussverfahren für den nachfolgenden Kündigungsschutzprozess
Leitsatz (amtlich)
1. Das Verfahren nach § 104 BetrVG ist präjudiziell für den nachfolgenden Kündigungsschutzprozess des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitnehmer im Beschlussverfahren nach § 104 BetrVG gem. § 83 Abs. 3 ArbGG beteiligt worden ist. Das Verfahren nach § 104 BetrVG hat nur dann einen Sinn, wenn der Betriebsrat die Maßnahme, zu der das Arbeitsgericht den Arbeitgeber verpflichtet, auch effektiv durchsetzen kann. Letztlich ist die Rechtslage des beteiligten Arbeitnehmers durch eine kollektivrechtliche Vorfrage geprägt und das Individualrecht in ein kollektives Bezugssystem eingebettet.
2. Eine erneute Beteiligung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG ist bei einem vorausgegangenen Verfahren nach § 103 BetrVG nicht erforderlich. Das Entlassungsverlangen enthält zugleich die Zustimmung zur Kündigung.
Normenkette
BetrVG § 104; ZPO §§ 325, 322
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 01.02.2016; Aktenzeichen 4 Ca 6451/15) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 01.02.2016, Az.: 4 Ca 6451/15 werden kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung der Beklagten vom 21.10.2015.
Die Beklagte, die in der Regel mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigt, betreibt einen bekannten Versicherungskonzern. Es besteht ein Betriebsrat.
Die am 12.03.1971 geborene Klägerin ist bei der Beklagten bzw. der Rechtsvorgängerin seit dem 03.05.1993 beschäftigt. Sie war zuletzt als Sachbearbeiterin im Bereich Rechnungswesen in der Abteilung "Cash-Agentur Inkasso E." eingesetzt.
Am 29.10.2014 kam es zu einem Zwischenfall zwischen der Klägerin und Herrn H., am 06.01.2015 zu einem Zwischenfall mit Frau T.. Letzteren Vorfall mahnte die Beklagte zunächst mit Schreiben vom 07.01.2015 ab. Mit Schreiben vom 08.01.2015 kündigte sie daraufhin das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 08.01.2015 fristlos. Gegen diese Kündigung wendete sich die Klägerin in einem unter dem Aktenzeichen 12 Ca 506/15 vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf geführten Verfahren. In diesem Verfahren erklärte die Beklagte, aus der Kündigung keine Rechte herzuleiten und nahm sie zurück.
Daraufhin forderte der Betriebsrat der Beklagten die Beklagte mit Schreiben vom 29.04.2015 auf, die Klägerin zu entlassen, hilfsweise sie zu versetzen. Dem kam die Beklagte nicht nach. Sodann leitete der Betriebsrat der Beklagten unter dem Aktenzeichen 11 BV 100/15 ein Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf, in dem die Klägerin als Beteiligte zu 3. beteiligt gewesen ist. Der Betriebsrat beantragte in diesem Verfahren, der Arbeitgeberin aufzugeben, die Klägerin zu entlassen, hilfsweise sie zu versetzten. Durch Beschluss vom 21.08.2015 hat das Arbeitsgericht Düsseldorf dem Antrag des Betriebsrates nach einer Beweisaufnahme entsprochen und folgendes tenoriert:
"Der Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, die Beteiligte zu 3. zu entlassen."
Weder die Beklagte noch die Klägerin haben gegen diesen Beschluss Rechtsmittel eingelegt.
Daraufhin teilte die Personalreferentin der Beklagten dem Betriebsrat mit E-Mail vom 20.10.2015 (Bl. 46 d. A.) mit, dass es beabsichtigt sei, die Klägerin fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30.06.2016 zu kündigen. Die Betriebsratsvorsitzende teilte hierauf mit E-Mail vom 21.10.2015 (Bl. 46 d. A.) mit, dass in der Sitzung vom 21.10.2015 beschlossen worden sei, der Kündigung zuzustimmen. Mit Schreiben vom 21.10.2015, zugegangen am 22.10.2016, kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30.06.2016.
Die Klägerin wendete sich mit ihrer am 04.11.2015 beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen Klage, der der Beklagten am 09.11.2015 (Bl. 13 d. A.) zugestellt wurde, gegen diese Kündigung.
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 21.10.2015 sei unwirksam. Der Betriebsrat sei schon nicht ordnungsgemäß angehört worden. Jedenfalls fehle es an einem Kündigungsgrund. Die fristlose Kündigung scheide schon deshalb aus, weil der Beklagten in dem Beschluss (11 BV 100/15) nicht aufgegeben worden sei, das Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden. Jedenfalls habe die Beklagte die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Auch bei einem Verfahren nach § 104 BetrVG sei auf die Kenntnis vom zugrunde liegenden Sachverhalts abzustellen. Es lägen auch keine Gründe für eine ordentliche Kündigung vor. Die Beklagte könne sich nicht auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts Düsseldorf in dem Verfahren 11 BV 100/15 berufen. Das Verfahren nach § 104 BetrVG schaffe kei...