Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung des Betriebs. Übergang eines Betriebsteils i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB. Massenentlassungsanzeige an die Arbeitsagentur des Betriebssitzes
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, eine betriebsbedingte Kündigung erst nach Stilllegung des Betriebs auszusprechen. Es reicht die Absicht der Betriebsstilllegung aus, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend zu schließen.
2. Der Übergang eines Betriebsteils auf einen Erwerber liegt nur vor, wenn die übernommenen Betriebsmittel und Beschäftigten bereits beim Veräußerer eine abgrenzbare organisatorische wirtschaftliche Einheit mit eigener Identität dargestellt haben. Bei einer Fluggesellschaft bilden weder die einzelnen Flugzeuge noch die "Langstrecke" noch die Abflugstationen noch das sog. "wet lease" einen Betriebsteil. Es fehlen jeweils die abgrenzbare organisatorische wirtschaftliche Einheit und Identität.
3. Die Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG ist bei der Agentur für Arbeit zu erstatten, in deren Bezirk der betroffene Betrieb liegt. Betrieb ist dabei eine unterscheidbare Einheit von gewisser Dauerhaftigkeit und Stabilität, in der bestimmte Aufgaben von einer Gesamtheit von Arbeitnehmern in einer organisatorischen Struktur und mit vorgegebenen Mitteln erledigt werden.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2, § 17; BGB § 613a Abs. 1; InsO § 113
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.04.2018; Aktenzeichen 9 Ca 6868/17) |
Nachgehend
Tenor
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.04.2018 - Az: 9 Ca 6868/17 - wird unter gleichzeitiger Abweisung des im Wege der Klageerweiterung gegen die Beklagte zu 2.) gerichteten Feststellungsantrages zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen, soweit die Berufung hinsichtlich des gegen den Beklagten zu 1.) gerichteten Kündigungsschutzantrages (Feststellungsantrag Ziffer 1.) zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2.) infolge eines von dem Kläger geltend gemachten Betriebsübergangs.
Der Beklagte zu 1.) ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in C.
Der am 19 06 1967 geborene, ledige Kläger war seit dem 01.01.1992 bei der M.-Unternehmen GmbH (im Folgenden M.) als Flugzeugkapitän/Pilot, zuletzt in Teilzeit beschäftigt. Im Jahr 2011 ging das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs auf die Schuldnerin über. Sein monatliches Bruttoentgelt betrug zuletzt durchschnittlich 9.409,56 €. Nach § 1 Ziffer 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29 04.2004, wegen dessen Wortlauts im Übrigen auf Blatt 22 ff. der Akte Bezug genommen wird, fanden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils gültigen Tarifverträge für das Cockpitpersonal der M. Anwendung. In § 4 Ziffer 1 des Arbeits-Vertrages war ursprünglich G. als dienstlicher Einsatzort vereinbart und unter Ziffer 2 weiter geregelt:
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, seinen Wohnsitz so wählen, dass er bei "normaler Verkehrslage innerhalb von 60 Minuten nach Abruf den Dienst an dem entsprechenden Einsatzort antreten kann."
Mit Teilzeitvereinbarung vom 30.06.2010, wegen deren Inhalts im Übrigen auf Blatt 27 ff. der Akte Bezug genommen wird, vereinbarten die Parteien unter § 5 E. als dienstlichen Einsatzort und unter § 8 Ziffer 1, dass diese Vereinbarung den Arbeitsvertrag vom 29.04.2004 ergänze.
In § 50 Abs. 3 des Manteltarifvertrags Nr. 4 für das Cockpitpersonal der M. (im Folgenden MTV Nr. 4M.) hieß es:
"Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und zusätzlich eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren haben, kann nicht ohne wichtigen Grund (§626 BGB) gekündigt werden. Dies gilt nicht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 48 und 49 dieses Tarifvertrages."
§ 48 MTV Nr. 4 M. regelte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Verlustes der Flugtauglichkeit und § 49 die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Verlustes der behördlichen Erlaubnisscheine.
Bei der Schuldnerin handelte es sich bis Ende des Jahres 2017 um die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, die von ihren Drehkreuzen in E. und C.-U. hauptsächlich Ziele in ganz Europa sowie in Nordafrika und Israel anflog. Sie beschäftigte mit Stand August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Keines der von der Schuldnerin genutzten Flugzeuge stand vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Eigentum der Schuldnerin. Alle Flugzeuge Waren von die...