Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbedingte Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung des Betriebs. Übergang eines Betriebsteils i.S.d. § 613a BGB. Massenentlassungsanzeige an die zuständige Agentur für Arbeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, eine Kündigung erst nach erfolgter Stilllegung des Betriebs auszusprechen. Es reicht die feste Absicht der Betriebsstilllegung aus, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen.

2. Der Übergang eines Betriebsteils auf einen Erwerber liegt vor, wenn die übernommenen Betriebsmittel und Beschäftigten bereits beim Veräußerer eine abgrenzbare organisatorische wirtschaftliche Einheit mit eigener Identität dargestellt haben. Bei einer Fluggesellschaft bilden weder die einzelnen Flugzeuge noch die "Langstrecke" noch die Abflugstationen noch das sog. "wet leasing" einen Betriebsteil. Es fehlen jeweils die abgrenzbare wirtschaftliche Einheit und Identität.

3. Die Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG ist bei der Agentur für Arbeit zu erstatten, in deren Bezirk der betreffende Betrieb liegt. Betrieb ist dabei eine unterscheidbare Einheit von gewisser Dauerhaftigkeit und Stabilität, in der bestimmte Aufgaben von einer Gesamtheit von Arbeitnehmern in einer organisatorischen Struktur und mit vorgegebenen Mitteln erledigt werden.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2, § 17; InsO § 113; BGB § 310 Abs. 4 S. 2, § 613a Abs. 1; GewO § 106

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 06.06.2018; Aktenzeichen 8 Ca 6866/17)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.02.2020; Aktenzeichen 6 AZR 211/19)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 06.06.2018 - Az: 8 Ca 6866/17 - wird unter gleichzeitiger Abweisung des im Wege der Klageerweiterung gegen die Beklagte zu 2.) gerichteten Feststellungsantrages zurückgewiesen.

  • II.

    Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

  • III.

    Die Revision wird für den Kläger zugelassen, soweit die Berufung hinsichtlich des gegen den Beklagten zu 1.) gerichteten Kündigungsschutzantrages (Feststellungsantrag Ziffer 1.) zurückgewiesen worden ist. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2.) infolge eines von dem Kläger geltend gemachten Betriebsübergangs.

Der Beklagte zu 1.) ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Schuldnerin) mit Sitz in C.

Der am 16.03.1969 geborene, getrennt lebende und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger war seit dem 31.03.2004 bei der M.-Unternehmen GmbH (im Folgenden M.) als Co-Pilot beschäftigt. Im Jahr 2011 ging das Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs auf die Schuldnerin über. Sein monatliches Bruttoentgelt betrug zuletzt durchschnittlich 12.124,83 €. In § 4 Ziffer 1 des Arbeitsvertrages vom 05.03.2004, wegen dessen Wortlauts im Übrigen auf Blatt 11 ff. der Akte Bezug genommen wird, war E. als dienstlicher Einsatzort vereinbart und unter Ziffer 2 weiter geregelt:

"Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, seinen Wohnsitz so wählen, dass er bei normaler Verkehrslage innerhalb von 60 Minuten nach Abruf den Dienst an dem entsprechenden Einsatzort antreten kann."

Bei der Schuldnerin handelte es sich bis Ende des Jahres 2017 um die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, die von ihren Drehkreuzen in E. und C-U. hauptsächlich Ziele in ganz Europa sowie in Nordafrika und Israel anflog. Sie beschäftigte mit Stand August 2017 6.121 Beschäftigte, davon 1.318 Piloten, 3.362 Beschäftigte in der Kabine und 1.441 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Boden. Keines der von der Schuldnerin genutzten Flugzeuge stand vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Eigentum der Schuldnerin. Alle Flugzeuge waren von dieser geleast worden. Die Schuldnerin betrieb den Flugbetrieb überwiegend mit den Flugzeugtypen der Airbus A 320-Familie sowie des Airbus A 330. Die A 320-Familie wurde hauptsächlich für die Mittel- und Kurzstrecke eingesetzt, der Flugzeugtyp A 330 hauptsächlich für die Langstrecke.

Die Schuldnerin verfügte über Stationen an den Flughäfen C, E., N., G., T., I., L, Q., O. und M.. Soweit Cockpitpersonal an anderen Flughafen als dem vereinbarten Dienstort eingesetzt wurde, erfolgte dies in Form des sog. Proceeding, d.h. Arbeitsantritt war am Dienstort, von dem der Pilot oder Co-Pilot auf Kosten der Schuldnerin zu dem Einsatzflughafen transportiert wurde.

In C. war der Leiter des Flugbetriebs ("Head of Flight Operations") ansässig. Diesem oblag die Leitung und Führung des Cockpitpersonals im operativen Geschäft der Schuldnerin. Er war für die Durchsetzung, Kontrolle und Einhaltung der Betriebsregeln im Bereich Cockpit einschließlich der Durchsetzung der Arbeitsanweisungen, die Rekrutierung und Neueinstellung sowie Personalplanung des ...

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