Revision
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin bei Feststellung der Schwerbehinderung nach Zugang der Kündigung und erst aufgrund eines Widerspruchs und einer Klage
Leitsatz (amtlich)
Der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte nach § 85 SGB IX gilt nach der gesetzlichen Neuregelung des § 90 Abs. 2 a SGB IX auch dann, wenn das Integrationsamt die Schwerbehinderung nach einem zunächst verneinenden Bescheid erst nach Widerspruch und Klageerhebung nach Zugang der Kündigung rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung, der vor Zugang der Kündigung liegt, feststellt (wie LAG Düsseldorf, Urteil vom 22.03.2005 – 6 Sa 1938/04 –).
Normenkette
SGB IX § 85; SGB IX 90 Abs. 2a; SGB IX § 69 Abs. 2 S. 2, § 14 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 24.06.2005; Aktenzeichen 13 Ca 5791/04) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom24.06.2005 – 13 Ca 5791/04 –wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung der Beklagten vom 30.07.2004 zum 30.09.2005.
Die am 18.12.1956 geborene Klägerin ist seit dem 01.11.1980 bei der Beklagten als Flugbegleiterin beschäftigt, und zwar zuletzt zu einer monatlichen Vergütung von 3.200,– EUR brutto.
Im Rahmen einer fliegerärztlichen Tauglichkeitsuntersuchung vom 28.04.2003 wurde bei der Klägerin Fluguntauglichkeit festgestellt. Daraufhin beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 27.06.2003 (Bl. 156 f d. A.) beim Versorgungsamt Düsseldorf die Feststellung der Schwerbehinderung, wobei sie davon ausging, dass die Fluguntauglichkeit auf den Einsatz von Pestiziden am Arbeitsplatz zurückzuführen sei.
Mit Schreiben vom 30.06.2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen der Fluguntauglichkeit zum 30.06.2004. In dem daraufhin von der Klägerin angestrengten Kündigungsschutzverfahren wies das Arbeitsgericht Düsseldorf – 4 Ca 5932/03 – die Klage ab, während das Landesarbeitsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 26.05.2004 – 12 Sa 439/04 – (Bl. 35 ff. d. A.) der Klage stattgab, da die Kammer zu Lasten der darlegungspflichtig gebliebenen Beklagten nicht habe feststellen können, dass die Beklagte zum Kündigungszeitpunkt hätte prognostizieren müssen, dass sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist keine andere Einsatzmöglichkeit für die (fluguntaugliche) Klägerin im Sinne eines „leidensgerechten” freien und geeigneten Arbeitsplatzes am Boden ergeben würde. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf wurde mit Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 07.10.2004 – 2 AZN 596/04 – (Bl. 118 ff d. A.) zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 01.08.2003 hatte die Beklagte in der Zwischenzeit beim Integrationsamt einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin gestellt. Dieser wurde mit Bescheid vom 27.08.2004 (Bl. 56 d. A.), bei der Beklagten eingegangen am 02.09.2004, zurückgewiesen mit der Begründung, die Ermittlungen hätten ergeben, dass die Klägerin nicht als schwerbehinderter Mensch anerkannt sei. Auch liege eine Gleichstellung mit den schwerbehinderten Menschen nicht vor. Eine Antragsstellung bzw. ein Widerspruchs-/Klageverfahren begründe nicht den besonderen Kündigungsschutz.
Mit Schreiben der Beklagten vom 30.07.2004 (Bl. 7 d. A.) kündigte diese das Arbeitsverhältnis erneut zum 30.09.2005 wegen der Fluguntauglichkeit der Klägerin zum 30.09.2005 unter Berufung auf § 48 Abs. 2 a in Verbindung mit § 48 Abs. 3 MTV Nr. 9 für das Kabinenpersonal der M. M. unternehmen GmbH vom 30.03.2004 (Bl. 61 ff d. A.).
Mit der am 03.08.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Kündigung der Beklagten vom 30.07.2004 unwirksam sei, weil bis zum Ende der Kündigungsfrist ausreichende Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestünden. Deshalb hat die Personalvertretung Kabine der Kündigung auch widersprochen (Bl. 8 d. A.). Später hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die Kündigung sei auch gem. § 85 SGB IX in Verbindung mit § 134 BGB unwirksam.
Nachdem auf den oben genannten Antrag der Klägerin vom 27.06.2003 nur ein Grad der Behinderung von 30 % mit Bescheid vom 12.01.2004 festgestellt worden war, hat die Klägerin hiergegen Widerspruch eingelegt und hat gleichzeitig einen Antrag auf Gleichstellung gestellt, was sie wiederum der Beklagten im Vorprozess mit dem Schriftsatz vom 13.01.2004 (Bl. 278 d. A.) und 19.01.2004 (Bl. 279 d. A.) mitgeteilt hat. Der Widerspruch wurde mit Bescheid der Bezirksregierung Münster vom 23.03.2004 (Bl. 292 f d. A.) zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin mit einer am 31.03.2004 beim Sozialgericht Düsseldorf eingehenden Klage vom 25.03.2004 Klage erhoben (Bl. 294 f d. A.) und hat beantragt, einen Behinderungsgrad von mindestens 60 % festzustellen...