Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung und Bestimmtheit einer Kündigungserklärung hinsichtlich der unklaren und widersprüchlichen Benennung der Kündigungsfrist. Feststellung eines aufgrund Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Auslegung und Bestimmtheit einer Kündigungserklärung, in welcher die Arbeitgeberin "unter Beachtung der für Ihr Arbeitsverhältnis geltenden Kündigungsfrist ordentlich und fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt" kündigt, im nächsten Satz aber eingeleitet mit der Wendung "nach unserer Berechnung" einen späteren als nach der anwendbaren Kündigungsfrist sich ergebenden Kündigungstermin nennt.
2. Die Frage der Unbestimmtheit einer Kündigung ist in der Berufungsinstanz auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 6 KSchG (vgl. nur BAG 20.01.2016 - 6 AZR 601/14 - juris RN 14; a.A. KR-Klose, 13. Aufl. 2022, § 6 RN 13; Quecke in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 10. Aufl. 2022, § 6 Verlängerte Anrufungsfrist, RN 2 und 9) selbst dann zu prüfen, wenn ein Arbeitnehmer trotz eines erstinstanzlich erteilten Hinweises nach § 6 Satz 2 KSchG die fehlende Bestimmtheit vor dem Arbeitsgericht nicht gerügt hat.
3. Macht der Arbeitnehmer im Rahmen einer Kündigungsschutzklage geltend, ein vertraglich begründetes Arbeitsverhältnis sei durch eine Kündigung nicht aufgelöst, unterscheidet sich der Streitgegenstand dieser Klage von dem einer allgemeinen Feststellungsklage, mit dem der Arbeitnehmer reklamiert, mit demselben Arbeitgeber bestehe aufgrund eines Betriebsübergangs ein Arbeitsverhältnis.
4. Übernimmt ein Luftverkehrsunternehmen die im Ausland gelegene Zentrale und weitere ausländische Standorte eines anderen Luftverkehrsunternehmens, liegt hinsichtlich gleichzeitig nicht übernommener, sondern stillgelegter (inländischer) Standorte auch dann kein Betriebsübergang vor, wenn diese für sich keine übergangsfähigen Einheiten i.S.v. § 613a BGB bilden.
5. Zur Zahlung einer sog. Sektorzulage ("sector pay") aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs.
6. Zur Möglichkeit, Annahmeverzugsansprüche gleichzeitig gegen zwei verschiedene Arbeitgeber geltend zu machen, obwohl der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung im fraglichen Zeitraum nicht für beide hätte erbringen können und daher die Zahlung nicht doppelt verlangen kann.
Normenkette
KSchG §§ 4, 6; BGB §§ 613a, 615, § 293 ff.
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.03.2021; Aktenzeichen 10 Ca 5971/20) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.03.2021 - 10 Ca 5971/20 - teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten zu 1) durch die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 10.09.2020 nicht aufgelöst ist.
Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 704,78 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.01.2021 zu zahlen.
Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 850,80 € brutto abzüglich bereits gezahlter 203,11 € netto nebst Zinsen aus dem Restbetrag in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.02.2021 zu zahlen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens 10 Ca 5971/20 haben der Kläger zu 1/10 und die Beklagte zu 1) zu 9/10 zu tragen.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.04.2021 - 2 Ca 5884/20 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten zu 2) durch die Kündigung der Beklagten zu 2) vom 10.09.2020 nicht aufgelöst ist.
Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage als Co-Pilot (First Officer) weiter zu beschäftigen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens 2 Ca 5884/20 hat die Beklagte zu 2) zu tragen.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 08.07.2021 - 10 Ca 1475/21 - teilweise abgeändert:
Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 704,78 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.01.2021 zu zahlen.
Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 850,80 € brutto abzüglich bereits gezahlter 203,11 € netto nebst Zinsen aus dem Restbetrag in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.02.2021 zu zahlen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens 10 Ca 1475/21 haben der Kläger zu 81 %, die Beklagte zu 1) zu 12 % und die Beklagte zu 2) zu 7 % zu tragen.
Im Übrigen werden die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.04.2021 - 2 Ca 5884/20 - und 08.07.2021 - 10 Ca 1475/21 - zurückgewiesen.
Die gerichtlichen Kosten der Berufung und die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren haben der Kläger zu 32 %, die Beklagte zu 1) zu 32 % und die Beklagte zu 2) zu 36 % zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) im Berufungsverfahren haben der Kläger zu 12 % ...