Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Abmahnung bei Vorwurf des Verstoßes gegen eine arbeitgeberseitige Weisung. Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Pflicht zur Rücksichtnahme auf den Arbeitgeber als Vertragspartner

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Arbeitgeber durfte es in der pandemischen Lage des Frühjahrs 2021 untersagen, testwillige Kolleginnen und Kollegen gezielt von einem Corona-Schnelltest abzuhalten. Die Weisung, "gegenüber jeglichen Kollegen während der Dienstzeit jegliche Äußerungen zu unterlassen, die kundtun, dass Sars-Covid-19 keine ernstzunehmende Erkrankung darstellt...", ist aber unwirksam. Eine auf diese Weisung gestützte Abmahnung ist unwirksam.

2. Der Aushang eines DIN-A4-Blattes am Arbeitsplatz, auf dem sich ein Arbeitnehmer in überzogener Weise kritisch über Beanstandungen durch seine Vorgesetzten äußert, ohne in Formalbeleidigung oder Schmähkritik zu verfallen, unterliegt dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Im vorliegenden Fall geht die Pflicht zur Rücksichtnahme auf berechtigte betriebliche Interessen (§ 241 Abs. 2 BGB) gemäß Art. 5 Abs. 2 GG der Meinungsäußerungsfreiheit vor. Vor Ausspruch einer Kündigung bedurfte es indessen einer Abmahnung.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, §§ 626, 1004; KSchG § 1; GG Art. 5 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Oberhausen (Entscheidung vom 30.09.2021; Aktenzeichen 2 Ca 514/21)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung der Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 30.09.2021 - 2 Ca 514/21 - teilweise abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Landes vom 26.04.2021 auch nicht ordentlich aufgelöst worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie über die Entfernung von zwei Abmahnungen.

Der am 01.07.1969 geborene, geschiedene und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.03.2013 bei dem beklagten Land NRW in der Post- und Botenstelle des Finanzamtes Oberhausen Nord beschäftigt. Die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetztes finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Für diese Behörde ist ein Personalrat gewählt worden. Ferner verfügt die Dienststelle über eine Gleichstellungsbeauftragte.

Am 19.04.2021 erhielt der Kläger von der Dienststellenleitung - nach telefonischer und schriftlicher Anhörung des Personalrats - zwei Abmahnungen. Beide Abmahnungen bezogen sich auf einen Vorfall am Mittwoch, den 14.04.2021, gegen 7:00 Uhr in der Post- und Botenstelle des Amtes. Die erste Abmahnung betraf die Missachtung von dienstlichen Weisungen. Der Kläger äußerte gegenüber seiner Kollegin, Frau H.-C., seinen Unwillen darüber, dass diese am 15.04.2021 erstmals an einem Bürgertest und Schnelltest im Hinblick auf eine Infektion mit COVID 19 teilnehmen wolle. Er befürchtete, bei einer eventuellen Quarantäne der Kollegin ebenfalls in Quarantäne geschickt zu werden. Die Abmahnung beanstandete, dass der Kläger mit seinen Äußerungen gegen die ausdrückliche dienstliche Weisung der stellvertretenden Geschäftsleiterin vom Vortage verstoßen habe, jegliche Beeinflussung von Kollegen zu unterlassen, die sich zu einem Schnelltest angemeldet hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Abmahnung wird auf Bl. 69-70 d. A. Bezug genommen.

Die zweite Abmahnung vom 19.04.2021 betraf eine Störung des betrieblichen Friedens in der Dienststelle ebenfalls vom 14.04.2021 gegen 7.00 Uhr. Auf die Nachfrage seines schwerbehinderten, herzkranken Kollegen, der Risikopatient ist, ob der Kläger auch mit einer Corona-Infektion arbeiten kommen würde, äußerte dieser, er würde auch mit einer Erkältung arbeiten kommen. Die Abmahnung beanstandete, der Kläger habe damit angekündigt, auch mit einer Corona-Erkrankung zum Dienst zu erscheinen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Abmahnung wird auf die Ablichtungen, Bl. 71-72 d. A., Bezug genommen.

Am Nachmittag des 19.04.2021 fanden Arbeitskollegen an der (Corona-)Plexiglasabtrennung der klägerischen Arbeitsplatzes zum benachbarten Arbeitsplatz, auf der verschiedene Aushänge angebracht waren, ein gut sichtbares DIN-A4-Blatt vor. Darauf war in der oberen Hälfte mittig das ausgeschnittene und etwa bierdeckelgroße Bild eines an einem Galgen hängenden Strichmännchens (iF: Galgenmännchen) mit Kreuzen als Augen auf schwarzem Grund angebracht. Darüber war groß mit Edding-Stift geschrieben: "TOD DURCH ABMAHNUNG". Rechts daneben stand: "KOLLEGE KURDE" mit einem schwarzen Pfeil darunter, der auf das Galgenmännchen links davon wies. In der unteren Hälfte des Blattes befanden sich links zwei weitere, wesentlich kleinere Galgenmännchenbilder. Rechts neben dem oberen der beiden stand handschriftlich: "Mündliche Drohung mit Abmahnung: Herr F. (2018)". Rechts neben dem unteren stand: "Mündliche Drohung mit Abmahnung: Fra...

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