Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung der arbeitsvertraglichen Vereinbarung von Arbeit auf Abruf
Leitsatz (amtlich)
Auslegung einer Vertragsklausel zum Umfang der Arbeitszeit in einem Abrufarbeitsverhältnis.
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist im Arbeitsvertrag vereinbart, dass sich Umfang und Lage der Arbeitszeit nach dem jeweiligen Arbeitsanfall richten, so liegt in der Regel in der durchgängigen vollschichtigen Inanspruchnahme der Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers kein Angebot auf Umwandlung des Abrufarbeitsverhältnisses in ein Vollzeitarbeitsverhältnis.
2. Jedoch ist die arbeitsvertraglich getroffene Vereinbarung zum Einsatz eines Arbeitnehmers nach Arbeitsanfall gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam, da sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt, indem sie zu seinen Lasten von § 615 BGB abweicht, nach dessen Maßgabe der Arbeitgeber das Risiko trägt, den Arbeitnehmer beschäftigen zu können bzw. ihn bei Nichtbeschäftigung wegen Auftragsmangel gleichwohl vergüten zu müssen.
3. Diese unwirksame Vertragsklausel ist im Wege ergänzender Vertragsauslegung entsprechend der tatsächlichen Vertragsdurchführung durch eine Abrede zu ersetzen, wonach die Parteien ein Abrufarbeitsverhältnis gewollt haben, das einen Abruf mindestens bis zu der tatsächlich in Anspruch genommenen durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit ermöglicht. Sodann ist unter Abwägung der berechtigten Interessen der Vertragsparteien das Interesse des Arbeitgebers zu berücksichtigen, die Arbeitszeit aufgrund der wechselnden Auslastung zu flexibilisieren. Dies kann unter Wahrung der berechtigten Interessen des Arbeitnehmers an einer festen Arbeitszeit mit festem Einkommen dadurch geschehen, dass der flexible Anteil der Arbeitszeit auf 25% begrenzt wird mit dem Ergebnis, dass ein Beschäftigungsanspruch von mindestens 75% der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit besteht.
Normenkette
BGB § 307 Abs. 1 S. 1, § 611
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 05.02.2015; Aktenzeichen 5 Ca 2359/14) |
Tenor
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 05.02.2015, 7 Sa 233/15, wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
III.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten, ihn in einem bestimmten zeitlichen Umfang wöchentlich einzusetzen.
Der Kläger ist seit dem 01.07.2000 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Versandhilfskraft zu einem Stundenlohn in Höhe von zuletzt 10,75 € brutto beschäftigt.
Im Arbeitsvertrag vom 28.06.2000 wird hinsichtlich der Arbeitszeit Folgendes ausgeführt:
"Wegen des schwankenden und nicht vorhersehbaren Umfangs der Arbeit richten sich Umfang und Lage Ihrer Arbeitszeit nach dem jeweiligen Arbeitsanfall (§ 4 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz). Die Lage der Arbeitszeit werden wir Ihnen anhand eines Einsatzplanes bekannt geben."
Eine Mindestarbeitszeit ist nicht ausgewiesen.
Außerdem enthält der Arbeitsvertrag folgende Regelung:
"Tarifliche Regelungen finden auf das Arbeitsverhältnis, für das § 4 des Beschäftigungsförderungsgesetzes gilt, keine Anwendung".
Wegen des Inhalts der Arbeitsverträge im Einzelnen wird auf Bl. 5 bis 6 der Akte Bezug genommen.
Auf der Basis vergleichbarer Verträge beschäftigt die Beklagte in ihrem Betrieb in F. zirka 200 Arbeitnehmer.
Der Kläger wurde ohne regelmäßige Arbeitszeit in wöchentlich ständig schwankendem Umfang an fünf Tagen pro Woche eingesetzt, und zwar im Kalenderjahr 2011 wöchentlich durchschnittlich 41,13 Stunden, im Kalenderjahr 2012 wöchentlich durchschnittlich 42,89 Stunden, im Kalenderjahr 2013 wöchentlich durchschnittlich 35,25 Stunden und im Kalenderjahr 2014 bis einschließlich Juli 2014 durchschnittlich 38,48 Stunden pro Woche. Wegen der unstreitig vom Kläger in den einzelnen Monaten geleisteten Stunden wird auf die Aufstellung im Schriftsatz des Klägers vom 10.12.2014 (Bl. 43 bis 45 der Akte) Bezug genommen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Vertragsklausel über die Abrufarbeit sei unwirksam, da sie ihm das volle Wirtschaftsrisiko übertrage. Die Beklagte habe ihm durch den ständig hohen, über 10 Stunden weit hinausgehenden Abruf der wöchentlichen Arbeitszeit unmissverständlich signalisiert, dass es nicht bei der Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG habe bleiben sollen, so dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit für eine Neuregelung maßgeblich sei. Er - der Kläger - habe auf Anforderung der Beklagten deutlich länger als 10 Stunden gearbeitet. Dadurch habe die Beklagte erklärt, dass sie die ursprüngliche Grenze in Höhe von 10 Stunden wöchentlich nicht einhalten wolle und habe ihm konkludent die Verlängerung der vertraglichen Arbeitszeit angeboten. Er sei dieser Aufforderung zur Arbeit über seine vertraglichen Pflichten hinaus ohne Widerspruch nachgekommen und habe damit das Angebot der Beklagten auf Vertragsänderung angenommen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihn als Versandhilfskraft mit einem Arbeitsumfang von d...