Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterrichtung über Betriebsübergang. Kündigung wegen Betriebsübergang. Inhalt des Unterrichtungsschreibens. Widerspruchsfrist. Rechtsmissbrauch
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Unterrichtung über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs gehört grundsätzlich auch eine Information gemäß § 613 a Abs. 4 BGB. Der Hinweis des Betriebsveräußerers, der Arbeitnehmer müsse damit rechnen, nach Abschluss der Verhandlungen mit dem Betriebsrat mit oder ohne Aufnahme in die Namensliste eine Kündigung zu erhalten, ist unvollständig und damit fehlerhaft, jedenfalls dann, wenn der Veräußerer die Kündigung nicht mehr selbst ausspricht.
2. Der Inhalt des Unterrichtungsschreibens wird durch das Gericht nach den gesetzlich vorgegebenen Kriterien überprüft. Der subjektive Kenntnisstand des Arbeitnehmers muss in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben, denn es entzieht sich einer gerichtlichen Überprüfung, ob der jeweilige Arbeitnehmer – möglicherweise wegen juristischer Vorkenntnisse – dazu in der Lage war, eine Fehlerhaftigkeit oder Unrichtigkeit des Unterrichtungsschreibens zu entdecken. Bei anderer Betrachtungsweise müsste dem Unterrichtenden unterstellt werden, dass er ebenfalls dazu in der Lage gewesen wäre, die Fehlerhaftigkeit bereits bei Erstellung des Schreibens festzustellen.
3. Läuft die Widerspruchsfrist wegen einer fehlerhaften Unterrichtung nicht, so kann in der Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage gegen eine vom Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung kein konkludenter Verzicht des Arbeitnehmers auf die Ausübung des Widerspruchsrechts gesehen werden. § 7 KSchG steht diesem Ergebnis nicht entgegen.
4. Ob die Ausübung des Widerspruchsrechts rechtsmissbräuchlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 4-5
Verfahrensgang
ArbG Solingen (Urteil vom 09.08.2007; Aktenzeichen 3 Ca 181/06 lev) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 09.08.2006 – 3 Ca 181/06 lev – teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsverhältnis besteht.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schluss-Urteil vorbehalten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner am 26.01.2006 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrte der Kläger zunächst die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Frühruhestandsvertragsverhältnis besteht. Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens hat er diesen Antrag neu gefasst und begehrt nunmehr die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsverhältnis besteht. Außerdem macht er Zahlungsansprüche geltend. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils der Beklagten wirksam widersprochen hat.
Der am 04.06.1950 geborene, verheiratete Kläger, der einem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist, war seit dem 01.04.1974 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Tarifverträge der chemischen Industrie Anwendung.
Der Kläger war dem Geschäftsbereich Consumer Imaging (CI) zugeordnet, der insbesondere die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte umfasste. Da dieser Geschäftsbereich seit mehreren Jahren einen massiven Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte, hat die Beklagte zur Kostenreduzierung Personalabbaumaßnahmen durchgeführt. Dazu gehörte unter anderem auch der Abschluss von Vorruhestandsverträgen oder Altersteilzeitvereinbarungen, in denen den jeweiligen Arbeitnehmern zum Teil erhebliche finanzielle Leistungen zugesagt wurden.
Unter dem Datum vom 14.10.2004 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste ab (Bl. 247 – 252 der Akte).
Ende des Jahres 2004 wurde der Geschäftsbereich CI im Wege eines Betriebsübergangs ausgegliedert und mit Wirkung zum 01.11.2004 auf die neu gegründete B. Photo GmbH übertragen.
Für die von dem Teilbetriebsübergang betroffenen Belegschaftsmitglieder fanden Informationsveranstaltungen statt. Unter anderem hat die Beklagte eine solche Informationsveranstaltung am 19.08.2004 abgehalten, bei der der spätere Geschäftsführer der B. Photo GmbH F. S., zum damaligen Zeitpunkt Mitglied des Vorstandes der Beklagten, Informationen zur wirtschaftlichen Situation der B. Photo GmbH erteilte. Außerdem wurden die Arbeitnehmer in Mitarbeiterzeitschriften über den bevorstehenden Teilbetriebsübergang unterrichtet. Im Monat September 2004 befanden sich in den betriebsinternen Magazinen die Zahlenangaben für die Erwerberin B. Photo GmbH von 300 Millionen Eigenkapitalsumme sowie 70 bzw. 72 Millionen Euro Barmittel.
Sämtliche dem Geschäftsbereich CI zugeordneten Arbeitnehmer der Beklagten haben im Oktober 2004 im Zusammenhang mit der Übertragung des Geschäftsbereichs CI eine im wesentlichen gleich lautende schriftliche Information erhalten. Die Informationsschreiben unterscheiden sich allerdings abhängig von der jeweiligen arbeitsvertraglichen Situation der betroffenen Mitarbeiter in Einzelfr...