Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang. Unterrichtungspflicht. Fehlerhafte Unterrichtung. Verzicht auf Widerspruchsrecht. Rechtsmissbrauch
Leitsatz (amtlich)
1. Rügt ein Arbeitnehmer gegenüber dem Betriebsveräußerer die Fehlerhaftigkeit des Unterrichtungsschreibens und behält er sich ausdrücklich vor, sein Widerspruchsrecht vorbehaltlich weiterer Aufklärungen noch auszuüben, so kann darin ein vertrauenszerstörender Umstand liegen, der eine Verwirkung ausschließt.
2. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Veräußerer bereits von einer größeren Anzahl anderer Arbeitnehmer wegen fehlerhafter Unterrichtung eine Widerspruchserklärung erhalten hat und von diesen gerichtlich auf das Bestehen von Arbeitsverhältnissen in Anspruch genommen wird.
3. Der Verzicht eines Arbeitnehmers auf eine Nachinformation ist grundsätzlich möglich. Ob darin gleichzeitig ein Verzicht auf die Ausübung des Widerspruchsrechts liegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
4. Läuft die Widerspruchsfrist wegen einer fehlerhaften Unterrichtung nicht, so kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls in der Erhebung einer Kündigungsschutzklage gegen eine vom Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung kein für die Verwirkung maßgebliches Umstandsmoment gesehen werden. Wenn der Arbeitnehmer bei unklarer Rechtslage eine rechtliche Möglichkeit wahrnimmt, sein etwaiges Arbeitsverhältnis mit der Erwerberin zu erhalten, ist darin kein vertrauensbegründender Umstand zugunsten des Veräußerers zu sehen, der Arbeitnehmer werde sein Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer sich die Ausübung des Widerspruchsrechts ausdrücklich vorbehalten hat.
5. In der Erhebung dieser Kündigungsschutzklage kann auch kein konkludenter Verzicht des Arbeitnehmers auf die Ausübung des Widerspruchsrechts gesehen werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Klageerhebung keine Anhaltspunkte dafür hat, dass sein Widerspruchsrecht noch bestehen könnte.
6. Der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit einem dritten Arbeitgeber kann eine geeignete Maßnahme darstellen, den Vorwurf des böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs zu vermeiden, ohne dass darin gleichzeitig ein Verzicht auf das Widerspruchsrecht zu sehen ist. Ob die Ausübung des Widerspruchsrecht in solchen Fällen rechtsmissbräuchlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 5-6
Verfahrensgang
ArbG Solingen (Urteil vom 18.08.2006; Aktenzeichen 2 Ca 648/06 lev) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 18.08.2006 – 2 Ca 648/06 lev – abgeändert:
Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsvertragsverhältnis besteht.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner am 10.03.2006 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Anstellungsvertragsverhältnis besteht. Außerdem beantragt er die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Lohn für den Zeitraum von September 2005 bis einschließlich Juni 2006. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils der Beklagten wirksam widersprochen hat.
Der am 22.09.1966 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 11.12.1990 zu einem monatlichen Bruttolohn in Höhe von 3.438,31 EUR bei der Beklagten als Mitarbeiter in der Produktion beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Tarifverträge der chemischen Industrie Anwendung. Der Kläger ist schwerbehindert.
Ausweislich Ziffer 1 des Arbeitsvertrages hat die Beklagte sich vorbehalten, dem Kläger innerhalb des Gesamtunternehmens und der mit B. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen eine andere gleichwertige Tätigkeit zu übertragen (Bl. 14 der Akte).
Der Kläger war dem Geschäftsbereich Consumer Imaging (CI) zugeordnet, der insbesondere die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte umfasste. Da dieser Geschäftsbereich seit mehreren Jahren einen massiven Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte, hat die Beklagte zur Kostenreduzierung Personalabbaumaßnahmen durchgeführt. Dazu gehörte unter anderem auch der Abschluss von Vorruhestandsverträgen oder Altersteilzeitvereinbarungen, in denen den jeweiligen Arbeitnehmern zum Teil erhebliche finanzielle Leistungen zugesagt wurden.
Unter dem Datum vom 14.10.2004 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste ab (Bl. 259 – 264 der Akte).
Ende des Jahres 2004 wurde der Geschäftsbereich CI im Wege eines Betriebsübergangs ausgegliedert und mit Wirkung zum 01.11.2004 auf die neu gegründete B. Photo GmbH übertragen.
Für die von dem Teilbetriebsübergang betroffenen Belegschaftsmitglieder fanden Informationsveranstaltungen statt. Unter anderem hat die Beklagte eine solche Informationsveranstaltung am 19.08.2004 abgehalten, bei der der spätere Geschäftsführer der...