Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterrichtung über Betriebsübergang. Kündigung wegen Betriebsübergangs. Inhalt des Unterrichtungsschreibens. Widerspruchsfrist. Rechtsmissbrauch
Leitsatz (amtlich)
1. Im Falle einer fehlerhaften Unterrichtung über einen Betriebsübergang kann der Arbeitnehmer – bis zur Grenze der Verwirkung – grundsätzlich unbefristet von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch machen.
2. Die Weiterarbeit beim Erwerber kann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht als Zustimmung des Arbeitnehmers zum Arbeitgeberwechsel oder als stillschweigender Widerspruchsverzicht gewertet werden.
3. Läuft die Widerspruchsfrist wegen einer fehlerhaften Unterrichtung nicht, so kann in der Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage gegen eine vom Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung kein konkludenter Verzicht des Arbeitnehmers auf die Ausübung des Widerspruchsrechts gesehen werden.
4. Ob die Ausübung des Widerspruchsrechts rechtsmissbräuchlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 4-6; KSchG §§ 4, 7
Verfahrensgang
ArbG Solingen (Urteil vom 23.01.2007; Aktenzeichen 5 Ca 918/06 lev) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 23.01.2007 – 5 Ca 918/06 lev – teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schluss-Urteil vorbehalten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit ihrer am 09.05.2006 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht. Außerdem macht sie Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, hilfsweise die Zahlung von Schadensersatz geltend. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils der Beklagten wirksam widersprochen hat.
Die Klägerin war seit dem 01.08.1968 zu einem monatlichen Bruttolohn in Höhe von 3.603,36 EUR bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der chemischen Industrie Anwendung.
Die Klägerin war dem Geschäftsbereich Consumer Imaging (CI) zugeordnet, der insbesondere die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte umfasste. Da dieser Geschäftsbereich seit mehreren Jahren einen massiven Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte, hat die Beklagte zur Kostenreduzierung Personalabbaumaßnahmen durchgeführt. Dazu gehörte unter anderem auch der Abschluss von Vorruhestandsverträgen oder Altersteilzeitvereinbarungen, in denen den jeweiligen Arbeitnehmern zum Teil erhebliche finanzielle Leistungen zugesagt wurden.
Unter dem Datum vom 14.10.2004 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste ab (Bl. 106 – 110 der Akte).
Ende des Jahres 2004 wurde der Geschäftsbereich CI im Wege eines Betriebsübergangs ausgegliedert und mit Wirkung zum 01.11.2004 auf die neu gegründete B. Photo GmbH übertragen.
Für die von dem Teilbetriebsübergang betroffenen Belegschaftsmitglieder fanden Informationsveranstaltungen statt. Unter anderem hat die Beklagte eine solche Informationsveranstaltung am 19.08.2004 abgehalten, bei der der spätere Geschäftsführer der B. Photo GmbH F. S., zum damaligen Zeitpunkt Mitglied des Vorstandes der Beklagten, Informationen zur wirtschaftlichen Situation der B. Photo GmbH erteilte. Außerdem wurden die Arbeitnehmer in Mitarbeiterzeitschriften über den bevorstehenden Teilbetriebsübergang unterrichtet. Im Monat September 2004 befanden sich in den betriebsinternen Magazinen die Zahlenangaben für die Erwerberin B. Photo GmbH von 300 Millionen Eigenkapitalsumme sowie 70 bzw. 72 Millionen Euro Barmittel.
Sämtliche dem Geschäftsbereich CI zugeordneten Arbeitnehmer der Beklagten haben im Oktober 2004 im Zusammenhang mit der Übertragung des Geschäftsbereichs CI eine im wesentlichen gleich lautende schriftliche Information erhalten. Die Informationsschreiben unterscheiden sich allerdings abhängig von der jeweiligen arbeitsvertraglichen Situation der betroffenen Mitarbeiter in Einzelfragen voneinander.
Mit Schreiben vom 22.10.2004 wurde auch die Klägerin über die geplante Übertragung des Geschäftsbereichs CI informiert. Nach Hinweis auf die Informationspflicht gemäß § 613 a BGB und Wiedergabe des Textes von § 613 a Abs.5 und 6 BGB teilte die Beklagte mit, es werde hiermit „noch einmal” schriftlich die vorgesehene und mit dem Verhandlungsgremium des Gesamtbetriebsrates und der örtlichen Betriebsräte abgestimmte Information gegeben, auch wenn sie – die Klägerin – „aus der bisherigen Kommunikation bereits über die Einzelheiten informiert” sei.
Unter Ziffer 2. wird ausgeführt, die B. Photo GmbH übernehme das Vermögen von CI. Hierzu gehörten insbesondere Produktionsanlagen, Markenzeichen, Patente und technologisches Know-how, Vorräte und Forderungen. Das Unternehmen werde mit einem guten Eigenkapital ausgestattet und verfüge über hohe Liquidität, um unerwartet auftr...