Entscheidungsstichwort (Thema)
Beendigung der Arbeitsverhältnisse eines Luftverkehrsunternehmens aufgrund betriebsbedingter Kündigungen hinsichtlich Betriebsstilllegung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Auslegung und Bestimmtheit einer Kündigungserklärung, in welcher die Arbeitgeberin einen späteren als nach der anwendbaren Kündigungsfrist sich ergebenden Kündigungstermin nennt.
2. Zum räumlichen Geltungsbereich des KSchG für einen Luftverkehrsbetrieb mit einem Standort in Deutschland, dessen Leitung ihren Sitz im Ausland hat.
3. Übernimmt ein Luftverkehrsunternehmen die im Ausland gelegene Zentrale nebst weiteren ausländischen Standorten eines anderen Luftverkehrsunternehmens, liegt hinsichtlich gleichzeitig nicht übernommener, sondern stillgelegter (inländischer) Standorte auch dann kein Betriebsübergang vor, wenn diese für sich keine übergangsfähigen Einheiten i.S.v. § 613a BGB bilden.
4. Zur Berücksichtigung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Ausland im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG (hier verneint).
5. Die Übermittlung einer Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit per Telefax genügt der Schriftform des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG.
6. Fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führen nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (entgegen LAG Hessen 25.06.2021 - 14 Sa 1225/20, juris).
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1, 2 S. 1, §§ 23-24; BGB § 613a Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 4, § 17 Abs. 3 S. 2, Abs. 1 S. 1; BGB § 134; KSchG § 17 Abs. 3 Sätze 4-5; BGB § 611a Abs. 2, § 615 S. 1; KSchG § 17 Abs. 3 S. 2, 4, 5
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.03.2021; Aktenzeichen 6 Ca 5967/20) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 12.02.2021; Aktenzeichen 11 Ca 5975/20) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufungen der klägerischen Partei gegen die Urteile des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 12.02.2021 - 11 Ca 5975/20 und vom 15.03.2021 - 6 Ca 5967/20 werden zurückgewiesen.
II. Die klägerische Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird für die klägerische Partei zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse aufgrund betriebsbedingter Kündigungen der Beklagten zu 1) und 2).
Die Beklagte zu 1) war ein österreichisches Flugunternehmen im XM.-Konzern mit Sitz in Schwechat (Österreich). Alleingesellschafterin war die VP.. Zwischen der Beklagten zu 1) und dem am 27.12.1985 geborenen, verheirateten Kläger, der einem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist, bestand seit dem 05.11.2018 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger war zuletzt als Flugkapitän tätig und verdiente monatlich ca. EUR 7.700,00 brutto. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war zunächst der befristete "Dienstvertrag" vom 21.09.2018 (Bl. 20 f. dA.), an den sich der "Dienstvertrag" vom 26.02.2019 (Bl. 22 ff. dA.) anschloss. Ua. erklärt der Dienstvertrag vom 26.02.2019 österreichisches Recht für anwendbar. Zur örtlichen Tätigkeit des Klägers enthielt der Vertrag folgende Regelung:
"Als Stationierungsort des Dienstnehmers ist Wien, als Einsatzort Düsseldorf vereinbart. Dem Dienstgeber bleibt es vorbehalten, den Dienstnehmer vorübergehend oder dauerhaft aus betrieblichen Gründen auch an einem anderen zumutbaren Stationierungs- und/oder Einsatzort im Inland und Ausland einzusetzen, wobei die Änderung des Stationierungs- und/oder Einsatzortes dem Dienstnehmer drei Monate im Vorhinein bekannt zu geben ist. Der Dienstnehmer stimmt einer solchen Versetzung hiermit ausdrücklich zu. Auf Anordnung des Dienstgebers ist der Dienstnehmer auch verpflichtet, seine Dienstleistungen auf Luftfahrzeuge im Ausland zu erbringen."
Der Dienstvertrag verwies hinsichtlich der Kündigungsfristen auf die Regelungen des Kollektivvertrags der Angestellten der D. GmbH (vgl. Bl. 26 ff dA), der in Abschnitt II 2. 2.1. eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum letzten eines Monats bestimmt, soweit in den jeweiligen Einzeldienstverträgen nichts anderes vereinbart ist. Die Kündigungsfrist erhöht sich nach den kollektivertraglichen Regelungen erstmals nach Vollendendung des 15. Dienstjahres. Der Kollektivvertrag enthielt weitergehende Regelungen zu Stationierungs- und Dienstort und den Tätigkeitsbereich (vgl. insb. Abschnitt II 3., Bl. 34 d.A.).
Das für die Beklagte zu 1) von einem externen Dienstleister betriebene Operations Control Center (OCC) nebst Einsatzplanung ("Rostering") befand sich in Warschau (Polen), verschiedene Funktionsträger der Beklagten zu 1), etwa der Director of Operations und andere für den Flugbetrieb vorgeschriebene "nominated persons" hatten ihren Arbeitsort in Schwechat/Österreich. Die Beklagte zu 1) betrieb mindestens 24 in Österreich registrierte Flugzeuge des Modells Airbus A-320, die sie von vier Basen aus (Wien, Düsseldorf, Palma de Mallorca und Stuttgart) einsetzte. In Düsseldorf waren sieben Flugzeuge stationiert, die wegen der durchzuführenden Wartungen dauernd wechselten. Die Beklagte zu...