Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung deutschen Rechts nach diesbezüglicher Rechtswahl. Auslegung einer Kündigungserklärung. Räumlicher Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Verfassungskonforme Auslegung der §§ 23 und 24 Abs. 2 KSchG. Kein Betriebsübergang bei Übernahme stillgelegter inländischer Standorte. Anforderungen an die Pflichtangaben in der Massenentlassungsanzeige. Außerprozessuale Bedingung als Prozesshindernis. Ermittlung der Arbeitnehmerzahl für die Anwendbarkeit des KSchG. Wirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen auch bei Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Ausland. "Betrieb" i.S.d. RL 98/59/EG (MERL). Teilweise Parallelentscheidung zu LAG Düsseldorf 12 Sa 347/21 v. 15.12.2021
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Auslegung und Bestimmtheit einer Kündigungserklärung, in welcher die Arbeitgeberin einen späteren als nach der anwendbaren Kündigungsfrist sich ergebenden Kündigungstermin nennt.
2. Zum räumlichen Geltungsbereich des KSchG für einen Luftverkehrsbetrieb mit einem Standort in Deutschland, dessen Leitung ihren Sitz im Ausland hat.
3. Übernimmt ein Luftverkehrsunternehmen die im Ausland gelegene Zentrale nebst weiteren ausländischen Standorten eines anderen Luftverkehrsunternehmens, liegt hinsichtlich gleichzeitig nicht übernommener, sondern stillgelegter (inländischer) Standorte auch dann kein Betriebsübergang vor, wenn diese für sich keine übergangsfähigen Einheiten i.S.v. § 613a BGB bilden. Insoweit handelt es sich um eine Betriebsstilllegung.
4. Fehlende Sollangaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG führen nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (entgegen LAG Hessen 25.06.2021 - 14 Sa 1225/20, juris).
5. Unzulässigkeit einer Zahlungsklage wegen außerprozessualer Bedingung.
6. Fehlende Anwendbarkeit des KSchG auf eine Einheit, die zwar mit mehr als zehn Arbeitnehmern Arbeitsverträge abgeschlossen, diese Arbeitsverhältnisse aber nie in Vollzug gesetzt hat und daher nicht in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG. Dies gilt auch im Rahmen des § 24 KSchG.
7. Zur Berücksichtigung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Ausland im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG (hier verneint).
8. Ein Betrieb i.S.d. MERL sowie des § 17 KSchG liegt nicht vor, wenn eine Einheit ihre Tätigkeit noch nicht aufgenommen hat. Dies gilt jdf. dann, wenn die betroffenen Arbeitnehmer bereits zuvor Gegenstand einer Massenentlassungsanzeige waren.
Leitsatz (redaktionell)
1. Haben die aus verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU stammenden Vertragsparteien in einer Rechtswahl die Anwendung deutschen Rechts getroffen, folgen die Regelungen über das Erlöschen von Verpflichtungen aus dem Vertrag dem Recht des Staates, das auf den Arbeitsvertrag Anwendung findet bzw. finden soll.
2. Nach seinem räumlichen Geltungsbereich erfasst § 23 KSchG sachlich nur inländische Betriebe. Dies ergibt sich aus einer am Wortlaut, an der Systematik und an der Entstehungsgeschichte sowie an Sinn und Zweck orientierten Auslegung des § 23 KSchG.
3. Die Anwendbarkeit des KSchG auf einen ausländischen Standort kann sich für ein Luftverkehrsunternehmen aus einer verfassungskonformen Auslegung der §§ 23 und 24 Abs. 2 KSchG im Lichte von Art. 12 GG ergeben. Ein Luftverkehrsbetrieb nach § 24 KSchG kann deshalb dem KSchG unterliegen, auch wenn der maßgebliche Leitungsapparat sich im Ausland befindet.
Normenkette
EUVO 1215/2012 Art. 20 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1, Art. 66 Abs. 1; EGV 593/2008 (Rom I-VO) v. 17.06.2008 Art. 3 Abs. 1, Art. 2, 5, 8 Abs. 1-2, Art. 10 Abs. 2; EGRL 98/59; EGRL 2001/23; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; BGB § 305 Abs. 1, § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1, §§ 133, 157, 611a Abs. 2, § 613a Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 1-3, § 17 Abs. 1, 3, §§ 23-24; ZPO §§ 265, 325; ROM-I-VO Art. 12 Abs. 1; BGB §§ 134, 241 Abs. 2, §§ 242, 293, 623; KSchG § 4
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.09.2021; Aktenzeichen 7 Ca 995/21) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.04.2021; Aktenzeichen 2 Ca 5881/20) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.03.2021; Aktenzeichen 7 Ca 5969/20) |
Nachgehend
Tenor
I.
Die Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.03.2021 - 7 Ca 5969/20 -, vom 03.09.2021 - 7 Ca 995/21 - und vom 19.04.2021 - 2 Ca 5881/20 - werden zurückgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 1), einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten zu 2) und die Frage eines Betriebsübergangs von der Beklagten zu 1) auf die Beklagte zu 2).
Die Beklagte zu 1) war ein Flugdienstleistungsunternehmen im S.-Konzern mit Sitz in Schwechat (Österreich). Zwischen ihr und der am 07.03.1964 geborenen Klägerin bestand seit dem 27.04.2019 ein Arbeitsverhältnis. Die Klägerin verdiente zuletzt monatlich durchschnittlich 2.500,00 Euro brut...