Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen „Anspuckens”
Leitsatz (amtlich)
1. Hat ein knapp neun Monate beschäftigter Arbeitnehmer seinem Arbeitskollegen auf dessen Bemerkung „Du Arschloch” ins Gesicht gespuckt, kann aus verhaltensbedingten Gründen eine ordentliche Kündigung auch dann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer anschließend durch einen Faustschlag des Arbeitskollegen verletzt wurde, danach beide Beteiligten dem Vorgesetzten erklärten, sich wieder zu vertragen und aufgrund der fristlosen Entlassung des Arbeitskollegen eine Wiederholungsgefahr entfällt.
2. Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und zum Prognoseprinzip im Kündigungsrecht.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Essen (Urteil vom 12.02.2004; Aktenzeichen 1 Ca 5538/03) |
Tenor
Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Essen vom 12.02.2004 und Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen wird die Klage abgewiesen, soweit der Kläger die Feststellung beantragt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristgerechte Kündigung vom 03.11.2003 [zum 31.12.2003] aufgelöst wurde.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer verhaltensbedingten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
Der Kläger, am 06.03.1978 geboren, verheiratet, ein Kind, war seit dem 01.02.2003 als Kommissionierer bei der Beklagten in F. beschäftigt.
Am 27.10.2003 kam es zwischen dem Kläger und seinem Arbeitskollegen P. L., der ebenfalls als Kommissionierer beschäftigt war, zu einer Auseinandersetzung: Beide waren damit befasst, aus demselben Gang Waren herauszusuchen, der Zeuge L. überholte zunächst den Kläger und verperrte ihm dann den Weg, indem er Waren aus den seitlichen Hochregalen einlud. Als der Kläger den Zeugen aufforderte, Platz zu machen, antwortete dieser mit einem Schimpfwort. Der Kläger spuckte daraufhin dem Zeugen ins Gesicht. Der Zeuge reagierte mit einem Schlag ins Gesicht des Klägers und traf ihn am Auge. Danach trennte der Arbeitskollege K. S. die Kontrahenten. Zwischen dem Kläger und dem Zeugen L. kam es zu keinen weiteren Beleidigungen oder Tätlichkeiten.
Im Büro ließ der herbeigerufene stellvertretende Lagerleiter, der Zeuge E. C., vom Kläger und dem Zeugen L. den Vorfall schildern. Nachdem sie seine Frage bejahten, ob sie sich wieder vertragen könnten und sich die Hand gaben, gingen beide zurück an die Arbeit.
Am Folgetag erschien der Kläger, der infolge des Faustschlages eine Jochbein-Orbitabodenfraktur erlitten hatte und deswegen vom 28.10.2003 bis 02.11.2003 stationär behandelt wurde, nicht zur Arbeit. Als der Zeuge C. an diesem Tag aus dem Betrieb die Information erhielt, dass der – ebenfalls dort beschäftigte – Bruder des Klägers geäußert habe, dass der Kläger Strafanzeige gegen den Zeuge L. stellen werde, unterrichtete er die Zentrale der Beklagten von dem Vorfall. Am 31.10.2003 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat teilte ihr am 03.11.2003 seine Zustimmung zur Kündigung mit. Anschließend erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 03.11.2003 gegenüber dem Kläger die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Gleichzeitig erklärte sie gegenüber dem Zeugen die – von diesem nicht angegriffene – fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Am 21.11.2003 hat der Kläger beim Arbeitsgericht Essen Kündigungsschutzklage eingereicht.
Er behauptet, dass der Zeuge L. auf seine höflich vorgetragene Bitte, ihm Platz zu machen, mit den Worten reagiert habe: „Halt die Klappe, du Bastard!”, und das Schimpfwort „Bastard” wiederholt habe, woraufhin er, der Kläger, den Zeugen angespuckt habe. Nachdem er und der Zeuge L. im Büro auf Veranlassung ihres Vorgesetzten C. sich versöhnt hätten, sei – so meint der Kläger – die Beklagte daran gehindert, wegen des Vorfalls noch arbeitsrechtliche Sanktionen zu ergreifen. Obwohl ihm mehrere Arbeitskollegen geraten hätten, Strafanzeige zu erstatten, habe er – was unstreitig ist – keine Strafanzeige gegen den Zeugen L. gestellt.
Die Beklagte macht für die Kündigung geltend, dass der Kläger durch grundloses Anspucken des Zeugen L. eine Tätlichkeit bzw. Beleidigung begangen habe und ihn wesentliche Schuld an der Eskalation treffe. Der Vorfall sei in der vom – nicht kündigungsberechtigten – Zeugen C. anschließend geführten Aussprache keineswegs „erledigt” worden.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 12.02.2004 – unter (rechtskräftiger) Abweisung einer vom Kläger erhobenen Forderung auf Überstundenbezahlung – der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte das Urteil in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an. Sie begehrt weiterhin die Abweisung der Klage. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf...