Entscheidungsstichwort (Thema)
Versetzung zu Vivento. Direktionsrecht. Reichweite des Direktionsrechts. Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Versetzung eines Arbeitnehmers der Deutschen Telekom AG in die „Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit Vivento” ist nicht auf der Grundlage des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts möglich. Dieses erlaubt nicht die Zuweisung einer Tätigkeit, die sich nicht – auch nicht im Sinne eines Annexes – als Arbeitsleistung einordnen lässt. Insbesondere kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht per Direktionsrecht verpflichten, an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mitzuwirken.
2. Zu den Folgen eines erklärten Vorbehalts auf den Eintritt der Verwirkung.
Normenkette
BGB § 242; TV Ratio §§ 3, 7; KSchG §§ 1-2; TV Ratio der Deutschen Telekom AG vom 29.06.2002
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 25.04.2005; Aktenzeichen 7 Ca 9530/04) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom25. April 2005 – 7 Ca 9530/04 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung.
Der Kläger war seit September 1981 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zuletzt in der Zentrale der T-Com in E. als Softwareentwickler gegen ein Bruttomonatsgehalt von ca. 3.800,– EUR angestellt.
Die Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildet der Arbeitsvertrag vom 27. August 1981, in welchem es u. a. heißt, die bei der Deutschen Bundespost (der Rechtsvorgängerin der Beklagten) abgeschlossenen Tarifverträge gälten in ihrer jeweiligen Fassung als vereinbart. Auf dieser Grundlage wenden die Parteien unstreitig die Haustarifverträge der Beklagten auf das Arbeitsverhältnis an.
Aufgrund einer Sonderregelung zum Manteltarifvertrag (MTV) der Beklagten genießt der Kläger bereits seit Vollendung seines 41. Lebensjahres den besonderen Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer gem. § 26 MTV (Bl. 238 f. der Akte).
Die Beklagte sieht sich aufgrund der Marktsituation zu Effizienzsteigerungen gezwungen. Im Jahr 2003 entschloss sie sich im Rahmen einer Reorganisation der T-Com Zentrale, die zuletzt unter anderem vom Kläger durchgeführten Programmieraufgaben mit Wirkung zum 1. November 2003 auf das ebenfalls zum Konzern gehörende Unternehmen T-Nova zu übertragen. Über die Reorganisation vereinbarte sie unter dem 1. August 2003 mit dem zuständigen Betriebsrat einen Interessenausgleich (Bl. 207 ff. der Akte), der auf die Rahmenregelungen zur Umsetzung von Organisationsvorhaben (Bl. 212 ff. der Akte) Bezug nahm. Das auf der Grundlage der Rahmenregelungen gebildete, paritätisch besetzte Umsetzungsteam stellte fest, dass der Arbeitsplatz des Klägers sowie der auf gleichen Arbeitsplätzen beschäftigten drei weiteren Arbeitnehmer durch die Neuorganisation iS einer Vollbetroffenheit nach § 3 Abs. 2 TV Ratio wegfalle. Im Juni/Juli 2003 wurde dem Kläger erfolglos ein Aufhebungsvertrag verbunden mit einem Arbeitsvertrag bei dem Unternehmen T-Nova angeboten.
Nach am 23. Oktober 2003 erklärter Zustimmung des Betriebsrats (Bl. 230 der Akte) versetzte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 29. Oktober 2003, welches er – wie die Parteien zuletzt unstreitig gestellt haben – am 31. Oktober 2003 erhielt, aus „betrieblichen Gründen von der T-Com Zentrale zu Vivento”. In dem Schreiben heißt es weiter, der Kläger sei im Rahmen eines Clearingverfahrens nach Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung ausgewählt worden. Auf den Inhalt des Schreibens (Bl. 19 f. der Akte) wird ausdrücklich Bezug genommen. Bei „Vivento” handelt es sich um eine rechtlich unselbstständige Organisationseinheit der Beklagten mit eigener Geschäftsführung und eigenem Betriebsrat. Sie dient der Weitervermittlung von Arbeitnehmern auf andere Arbeitsplätze im Unternehmen der Beklagten sowie auch der Möglichkeit einer Beschäftigung des Klägers bei anderen juristischen Personen als der Beklagten. Bis zu einer Beschäftigung auf einen Dauerarbeitsplatz wird versucht, den versetzten Arbeitnehmern temporäre Beschäftigungen auch bei anderen juristischen Personen als der Beklagten zuzuweisen.
Die Grundlage von „Vivento” bildet der Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (nachfolgend TV Ratio) vom 29. Juni 2002. Dieser greift bei Änderungen der Aufbauorganisation, Änderungen der Ablauforganisation, Maßnahmen zur Nutzung des technischen Fortschritts sowie anderen personalwirtschaftlichen Maßnahmen, soweit dadurch der Arbeitsplatz eines Arbeitnehmers wegfällt oder verlegt wird. Der mittels eines tarifvertraglich geregelten Verfahrens als betroffen identifizierte Arbeitnehmer wird in die Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit Vivento versetzt. Betriebsbedingte Kündigungen waren zunächst bis 31. Dezember 2004 (zwischenzeitlich verlängert bis Ende 2008) ausgeschlossen. Vivento erstellt die für die Vermittlung auf einen dauerhaften Arbeitsplatz erforderlichen Qualifizierungsprogramme und führt die entsprechenden Maßnahmen durch...