Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines bei einem Rechtsschutzversicherer beschäftigten Einkaufssachbearbeiters wegen einer Tätlichkeit auf einem Betriebsfest
Leitsatz (amtlich)
Einzelfallentscheidung zu einer außerordentlichen Kündigung, die der Arbeitgeber damit begründet hat, der Arbeitnehmer habe eine Tätlichkeit begangen.
Leitsatz (redaktionell)
Eine schwere Tätlichkeit mit hohem Verletzungsrisiko (Schlagen eines Bierglases in das Gesicht) rechtfertigt die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Normenkette
BGB §§ 626, 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 31.07.2015; Aktenzeichen 11 Ca 1836/15) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 31.07.2015 - 11 Ca 1836/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine außerordentliche Kündigung.
Der im Februar 1967 geborene Kläger ist ledig und keiner Person unterhaltspflichtig. Er ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit September 1987 tätig, zunächst im Rahmen einer Ausbildung zum Versicherungskaufmann und zuletzt als Einkaufssachbearbeiter gegen ein Monatsbruttoeinkommen von durchschnittlich 4.810,78 €. Die Beklagte, ein Rechtsschutzversicherer, beschäftigt weit mehr als zehn Arbeitnehmer. Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildet der Arbeitsvertrag vom 17.01.1990 i. V. m. dem vom Kläger gegengezeichneten Schreiben vom 12.04.1990 über die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis (Bl. 16 f. und 18 d. A.).
Der Kläger weist aufgrund einer Krebserkrankung im Jahr 2002, in deren Verlauf ihm beide Hoden entfernt wurden, einen Grad der Behinderung von 80 % auf. Er leidet - medizinisch behandlungsbedürftig - immer wieder unter Panikattacken. Im Jahr 2014 bestand bei ihm ein - letztlich unbegründeter - Verdacht auf Darmkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Wegen darauf zurückzuführenden Angstzuständen begab sich der Kläger im Januar 2015 in psychologische Behandlung. Der behandelnde Psychologe stellte eine Angststörung fest.
Während eines Urlaubs nahm der Kläger am 12.02.2015 - "Weiberfastnacht" - ab etwa 15:00 Uhr an einer Karnevalsfeier der Beklagten im Erdgeschoss des Betriebsgebäudes teil. Der Kläger war als "Al Capone" verkleidet. Zu seinem Kostüm gehörten eine schwarze Jacke, ein Schlips, eine Sonnenbrille und ein Hut. Zwei Mitarbeiterinnen der Beklagten versuchten im Verlauf des Nachmittages wiederholt, dem Kläger - entsprechend der an diesem Tag im Rheinland üblichen Sitte - mit einer Schere die Krawatte abzuschneiden. Der Kläger protestierte, weil die Krawatte zu seinem Kostüm gehöre; er benötige sie zudem für eine weitere Feier am Karnevalssamstag. Am Abend kam es im Zusammenhang mit einer Polonaise zu einer Auseinandersetzung zwischen einer der Mitarbeiterinnen, Frau S., und dem Kläger, deren Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind. Im Anschluss daran sprach ein weiterer Mitarbeiter, Herr Q., den Kläger an und forderte ihn auf, sich zu entschuldigen. Auch insoweit sind die Einzelheiten zwischen den Parteien streitig. Herr Q. und der Kläger kannten sich zuvor nur vom Sehen. Sie begegneten sich allenfalls drei Mal im Jahr per Zufall. Beide begaben sich nach draußen zu der sich zusammen mit einer weiteren Mitarbeiterin, Frau D., vor dem Gebäude aufhaltenden Frau S.. Auf dem Weg dorthin legte Herr Q. den Arm um den Kläger. Der Kläger versuchte, sich bei Frau S. zu entschuldigen, wobei Form und Inhalt sowie die Reaktion der Anwesenden streitig sind. Der Kläger ging sodann gefolgt von Herrn Q. durch die Drehtür zurück ins Gebäude. Innen drehte er sich um. Es kam zu einer zwischen den Parteien in ihren Einzelheiten streitigen Auseinandersetzung. Diese endete, nachdem sich ein Dritter, Herr S., auf den Kläger stürzte. Der Kläger blieb insgesamt unverletzt. Der Vorfall wurde durch im Foyer zur Absicherung des Gebäudes gegen Unbefugte seit über zehn Jahren sichtbar installierte Videokameras aufgezeichnet. Bis zum 16.02.2015 hatte der Kläger Urlaub. Am 17.02.2015 hörte ihn die Beklagte in Anwesenheit der Betriebsratsvorsitzenden zu dem Vorfall an.
Auf Initiative des Betriebsrats entschuldigte sich der Kläger am 18.02.2015 in Gegenwart der Betriebsratsvorsitzenden bei Herrn Q., welcher die Entschuldigung annahm. Beide gaben sich die Hand. Herr Q. teilte dem Kläger mit, dass er ihn weder zivilrechtlich noch strafrechtlich verfolgen wolle, er sei nicht nachtragend.
Mit Zustimmung des Landschaftsverbandes Rheinland vom 12.03.2015 bzw. durch Verstreichenlassen der Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX kündigte die Beklagte nach Anhörung des bei ihr gebildeten Betriebsrats unter dem 26.02.2015 (Bl. 66 ff. d. A.), welcher nicht widersprach, das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 13.03.2015 fristlos und mit einem weiteren Schreiben vom selben Tag vorsorglich hilfsweise außerordentlich mit einer der tariflichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist zum 3...