Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsfolgen der Gewährung von Freifahrtmöglichkeiten durch ein Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs zugunsten seiner Arbeitnehmer und deren Ehegatten. Zulässigkeit der Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Gewährt ein Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs seinen Arbeitnehmern und deren Ehegatten jahrzehntelang kostenlose Freifahrtmöglichkeiten, so ist eine Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung möglich, sofern sich aus den Umständen ergibt, dass die der Gewährung zugrunde liegenden Regelungen betriebsvereinbarungsoffen waren. Insoweit ist nicht entscheidungserheblich, ob die Zurverfügungstellung kostenloser Tickets auf einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Übung beruhte. In beiden Fällen ist eine Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung möglich.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 21.10.2016; Aktenzeichen 3 Ca 1630/16) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 21.10.2016 - AZ: 3 Ca 1630/16 - abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Berufung des Klägers gegen das vorgenannte Urteil wird zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
IV.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Überlassung kostenloser Tickets zur Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs für sich und seine Ehefrau.
Die Beklagte ist ein Unternehmen, welches für die Stadt F. den öffentlichen Nahverkehr betreibt. Der am 01.10.1966 geborene Kläger wurde zum 01.12.1990 zum Zwecke der Ausbildung eingestellt und anschließend zum 24.04.1991 als Omnibusfahrer übernommen. Infolge eines Antrags auf Anrechnung seiner Bundeswehrdienstzeit gilt als Eintrittsdatum der 01.09.1989. Der Arbeitsvertrag enthielt u.a. folgende Regelung:
"§ 2
Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) und der zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträge - insbesondere des Bezirkszusatztarifvertrages (BZT-G/NRW) - in ihrer jeweils geltenden Fassung. Das gleiche gilt für die an deren Stelle tretenden Tarifverträge. Daneben finden die für den Bereich des Arbeitgebers jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge, betrieblichen Vereinbarungen und die Dienst- bzw. Arbeitsordnung Anwendung."
Die Beklagte stellte in der Vergangenheit ihren Beschäftigten und deren Ehepartnern auf Antrag ein unentgeltliches Ticket zur Nutzung der Verkehrsmittel im öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung. Zeitweise warb sie auf Fahrzeugen für Mitarbeiter mit einer Aufschrift, die sinngemäß lautete: "Als Mitarbeiter der F. haben Sie und Ihre Frauen immer freie Fahrt."
Grundlage der Gewährung in der Vergangenheit waren zunächst "Bestimmungen über die Gewährung von Dienstausweisen, Frei-Fahrkarten, Familien-Fahrkarten, Lehrlings- und Schülerkarten" vom 25.10.1958, die u.a. folgendes beinhalteten:
"I. Dienstausweise
...
b)Die Verkehrsaufseher ... erhalten einen Dienstausweis mit rotem Band, der gleichzeitig für Freifahrt auf unserem Straßenbahn- und Omnibusstreckennetz (außer Fernlinien) Gültigkeit hat.
c)Sämtliche im Fahrdienst beschäftigten Belegschaftsmitglieder ... erhalten einen Dienstausweis. Freifahrtberechtigung wie b).
II. Frei-Fahrkarten
....
III. Familien-Fahrkarten
1. Verheiratete männliche Belegschaftsmitglieder erhalten eine Familien-Fahrkarte, gültig für die Ehefrau des Belegschaftsmitgliedes, ...
Getrennt lebende und geschiedene Ehefrauen unserer Belegschaftsmitglieder erhalten keine Frei-Fahrkarte, ...
V. Frei-Fahrkarten für Pensionäre und deren Familienangehörige
Pensionäre erhalten für sich eine Streckenkarte, gültig von ihrer Wohnung bis zu einem von ihnen selbst zu bestimmenden Ziel, wenn sie nach einer mindestens 10-jährigen Beschäftigungszeit bei der F. invalidisiert wurden bzw. in den Ruhestand traten. Die Ehefrauen bzw. die Witwen dieser Pensionäre erhalten eine Streckenkarte, gültig von ihrer Wohnung bis zu einem von ihnen selbst zu bestimmenden Ziel, wenn ihr Ehemann mindestens 15 Jahre bei der F. beschäftigt war und sie kein eigenes Arbeitseinkommen von mehr als mtl. DM 150,-- haben. ..."
Der vorgenannte Betrag von DM 150,- wurde handschriftlich auf DM 200,- geändert.
Mit einer Verfügung vom 08.08.1973, die den Betreff "Freifahrkarten für Pensionäre bzw. für Angehörige von Pensionären" hatte, wurde geregelt, dass für die Feststellung der Beschäftigungsdauer angebrochene Monate als volle Monate zu rechnen seien.
Mit einer Verfügung vom 03.10.1985 wurden die o.g. Bestimmungen hinsichtlich Ziffer V. geändert und um eine Regelung bezüglich "Frei-Fahrkarten für Hinterbliebene von aktiven Belegschaftsangehörigen" ergänzt. Ziffer V. hatte nunmehr folgende Fassung:
"Frei-Fahrkarten für Pensionäre und deren Familienangehörige
Pensionäre erhalten für sich eine Streckenkarte, gültig von ihrer Wohnu...