Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung bei Verzicht auf Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einzelfall, in dem es an einem wichtigen Grund für eine außerordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung mit notwendiger Auslauffrist fehlt. Es bestehen Bedenken, dass entsprechend der Rechtsprechung zur Änderungskündigung (BAG 01.03.2007 – 2 AZR 580/05, AP Nr. 207 zu § 626 BGB) zur Abwendung einer drohenden Insolvenz gegenüber einem Teil der Belegschaft Beendigungskündigungen ausgesprochen werden können. Dies blieb im Ergebnis offen, weil der Sachvortrag zur angeblich deshalb erforderlichen Kündigung von 121 Mitarbeitern widersprüchlich und nicht nachvollziehbar war. Weitgehend genügte der Sachvortrag außerdem nicht den Anforderungen für eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung.

2. Ein als Dienstvereinbarung vereinbarter zeitlich befristeter Kündigungsverzicht kann zu Gunsten der Arbeitnehmer als Gesamtzusage wirken.

3. Wird der Kündigungsverzicht als Gegenleistung für einen Verzicht auf Weihnachtsgeld vereinbart, entfällt dieser auch bei einer möglichen Nachzahlung des Weihnachtsgeldes nicht, wenn die Parteien der Dienstvereinbarung dieses Risiko gesehen, dafür eine Regelung getroffen haben und das darin enthaltene Nachzahlungsrisiko nicht erreicht ist.

4. Bei einer drohenden Insolvenz entfällt die Geschäftsgrundlage für einen in einer Dienstvereinbarung vereinbarten Kündigungsverzicht nicht, wenn die Parteien dieser Dienstvereinbarung nachfolgend in einer Auswahlrichtlinie vereinbaren, dass der Personalabbau zur Abwendung einer Insolvenz keine Störung der Geschäftsgrundlage der Dienstvereinbarung ist.

5. Eine Kündigung ist unwirksam, wenn der Arbeitgeber die Mitarbeitervertretung bewusst unrichtig oder unvollständig unterrichtet.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 145, 151, 157, 275, 313, 326, 626; KSchG § 1; ZPO § 520; Mitarbeitervertretungsordnung für das Bistum Essen §§ 30-31, 38; BetrVG § 102

 

Verfahrensgang

ArbG Duisburg (Urteil vom 11.05.2011; Aktenzeichen 4 Ca 398/11)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 11.05.2011 – 4 Ca 398/11 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es im Kostenausspruch dahingehend abgeändert wird, dass die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt werden.

2. Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die am 29.03.1961 geborene, verheiratete Klägerin war seit dem 01.03.2002 bei der Beklagten auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 21.01.2002 als Mitarbeiterin in der Verwaltung, zuletzt mit 25 Wochenstunden zu einem monatlichen Bruttogehalt von 1.750,00 Euro beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden gemäß § 2 des Arbeitsvertrags die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes” (AVR) in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den zur Akte gereichten Arbeitsvertrag Bezug genommen.

Die Beklagte ist ein Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft mit 22 Kliniken und Instituten mit 1.034 Planbetten, bei der eine Mitarbeitervertretung gebildet ist. An vier Krankenhausstandorten (St. K.-Hospital, St. C.-Hospital, St. W.-Hospital sowie N. hospital) beschäftigte die Beklagte 1.785 Arbeitnehmer.

Die Beklagte und die Mitarbeitervertretung schlossen am 12.09.2007 eine Dienstvereinbarung (DV 2007), mit welcher die Mitarbeitervertretung die Unterstützung eines Antrags an die Arbeitsrechtliche Kommission (Unterkommission II) zusicherte, wonach in Abweichung von den AVR für das Jahr 2007 keine Weihnachtszuwendung ausgezahlt werden sollte. Betriebsbedingte Kündigungen sollten im Zeitraum vom 01.04.2009 bis zum 31.10.2010 nur unter bestimmten Voraussetzungen ausgesprochen werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichte DV 2007 Bezug genommen. Die Arbeitsrechtliche Kommission entsprach dem Antrag. Die Weihnachtszuwendung 2007 wurde nicht ausgezahlt. Am 04.08.2008 schloss die Beklagte mit der Mitarbeitervertretung die Dienstvereinbarung „Regelung 2008 und 2009” (DV 2008). Ausweislich § 1 DV 2008 sollte bei der Regionalkommission Nordrhein-Westfalen u. a. beantragt werden, dass abweichend von den AVR für 2008 und 2009 keine Weihnachtsgeldzuwendung gezahlt wurde und es bei der Absenkung der Weihnachtszuwendung 2007 blieb. Ausweislich § 2 DV 2008 sprach der Dienstgeber bis zum 31.12.2010 keine Kündigungen aus. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die DV 2008 Bezug genommen. Die Weihnachtszuwendungen 2008 zahlte die Beklagte nicht aus. Im Jahr 2009 kam es neben einer Einmalzahlung von 225,00 Euro zu einer Gehaltssteigerung von 4,3 %. Am 29.12.2009 schloss die Beklagte mit der Mitarbeitervertretung eine Dienstvereinbarung (DV 2009). In dieser hieß es u. a.:

㤠1 РAntrag an die Regionalkommission NRW

Der Dienstgeber stellt mit der MAV einen gemeinsamen An...

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