Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätze der Vertragsauslegung. Vertragsklausel als Allgemeine Geschäftsbedingung. Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Vertragliche planwidrige Regelungslücke. Ergänzende Vertragsauslegung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie sie die Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist zwar von dem Wortlaut auszugehen, aber zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände bei der Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.

2. Wird eine Vertragsklausel vom Verwender für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert, begründen das äußere Erscheinungsbild und der Inhalt der Klausel eine tatsächliche Vermutung, dass es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt.

3. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind - ausgehend vom Vertragswortlaut - nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von rechtsunkundigen, verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind.

4. Die Anwendung der Unklarheitenregel setzt voraus, dass die Auslegung einer einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von diesen keine den klaren Vorzug verdient. Es müssen "erhebliche Zweifel" an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht.

5. Um eine Regelungslücke handelt es sich, wenn die Parteien einen Punkt übersehen oder zwar nicht übersehen, aber doch bewusst deshalb offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für nicht regelungsbedürftig gehalten haben, und diese Annahme sich nachträglich als unzutreffend herausstellt. Diese Lücke ist planwidrig, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zu Grunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrages eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist.

6. Bei der Schließung einer Vertragslücke durch ergänzende Vertragsauslegung tritt an die Stelle der lückenhaften Klausel diejenige Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Lückenhaftigkeit der Reglung bekannt gewesen wäre.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 305 Abs. 1, §§ 305c, 307; TVöD-VKA Kr-Anwendungstabelle VergGr. 7a Stufe 6

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Entscheidung vom 15.11.2016; Aktenzeichen 2 Ca 1522/16)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 11.04.2018; Aktenzeichen 4 AZR 266/17)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 15.11.2016 -2 Ca 1522/16 abgeändert und die Beklagte verurteilt:

    1. an die Klägerin 3.585,08 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2016 zu zahlen.
    2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 01.06.2016 nach der Vergütungsgruppe 7a Stufe 6 der Kr-Anwendungstabelle des TVöD für den Bereich der VKA zu vergüten.
  • II.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

  • III.

    Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob der Klägerin eine tarifliche Vergütung zusteht.

Die am 23.05.1955 geborene Klägerin ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit dem 01.10.1994 als Altenpflegerin beschäftigt. Die Einzelheiten der Beschäftigung regelt der schriftliche Arbeitsvertrag vom 16.04.1994, Bl. 15 - 18 GA.

In diesem zwischen der "Einzelfirma Seniorenzentrum D., Inhaber W. T." und der Klägerin abgeschlossenen Arbeitsvertrag heißt es auszugsweise wie folgt:

"§ 2Vergütung

Der Mitarbeiter erhält eine monatliche Vergütung der Gruppe: Kr III

Monatslohn/Gehalt 3.909,97 DM

Stundenlohn 23,44 DM

Mit dieser Vergütung sind alle weitergehenden Ansprüche aus der vereinbarten Tätigkeit abgegolten.

§ 3 Sonderzahlungen

In der Betriebsvereinbarung vom 17.02.1993, welche ein Bestandteil dieses Arbeitsvertrages ist, sind alle Sonderzahlungen geregelt.

...

§ 8 Betriebsvereinbarung

Die als Anlage beigefügte Betriebsvereinbarung vom 17.02.1993 ist Bestandteil des Arbeitsvertrages. Darüber hinaus gelten alle betrieblichen Regelungen, sofern in diesem Arbeitsvertrag keine andere Vereinbarung getroffen ist sowie die Bestimmungen des allgemeinen Arbeitsrechts."

Die in Bezug genommene Betriebsvereinbarung vom 17.02.1993, Bl. 23 - 26 GA, regelt - soweit hier von Interesse - auszugsweise Folgendes:

"§ 2 Lohn- und Vergütungsrichtlinien

1. Für die Angestellten nach § 1 dieser Betriebsvereinbarung gelten analog die für die ...

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