Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines Arbeitnehmers auf Vergütung nach der Entgelttabelle des TV-L oder des TV-D
Leitsatz (amtlich)
Zur planwidrigen Lückenhaftigkeit einer Betriebsvereinbarung, die bezüglich der Vergütung der Arbeitnehmer auf den "Vergütungstarifvertrag BAT" und den diesen ändernden und ergänzenden Bestimmungen Bezug nimmt, vor dem Hintergrund der Ersetzung des BAT durch den TVöD/TL-L.
Leitsatz (redaktionell)
1. Sieht ein im Jahr 1992 abgeschlossener Arbeitsvertrag die Vergütung der vereinbarten Tätigkeit nach einer bestimmten Vergütungsgruppe des BAT vor, so handelt es sich um eine dynamische Inbezugnahme der Vergütungsregeln des BAT.
2. Handelt es sich um einen formularmäßig vorformulierten Arbeitsvertrag, der dem Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin gestellt wurde, so handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung i.S. von § 305 Abs. 1 BGB.
3. Ist eine Vergütungsregelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten und weist sie eine kollektiven Bezug auf, so liegt hierin die konkludente Vereinbarung, dass die Inbezugnahme der Vergütungssystematik des BAT eine Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen soll.
4. Wird zeitlich nach Abschluss des Arbeitsvertrages eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die sich nicht darin erschöpft, dass die einschlägigen Bestimmungen des BAT "abgeschrieben" werden und damit die bereits vorher vertraglich vereinbarte dynamische Verweisung schlicht zu übernehmen, so wird eine eigenständige Vergütungsordnung geschaffen. Das gilt umso mehr, wenn der Arbeitnehmer einen Nachtrag zum Arbeitsvertrag unterzeichnet hat, in dem er sich damit einverstanden erklärt hat, dass für seine Vergütung künftig nicht mehr die dynamische Verweisung auf den BAT maßgeblich sein soll, sondern die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung.
5. Eine Betriebsvereinbarung ist, auch wenn sie gekündigt worden ist, keiner ergänzenden Auslegung des Inhalts zugänglich, dass nach Auslaufen des BAT nunmehr die Vergütungstarife des TV-L oder des TVöD gelten sollen.
Normenkette
BGB §§ 611, 305 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 25.05.2016; Aktenzeichen 6 Ca 541/16) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 25.05.2016 - Az. 6 Ca 541/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision zugunsten des Klägers wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob dem Kläger eine Vergütung nach Maßgabe eines der aktuellen Gehaltstarifverträge für den Öffentlichen Dienst zusteht.
Die Beklagte gehört zu der Unternehmensgruppe D./N. aus C.. Sie betreibt in F. ein Senioren- und Pflegezentrum, welches sie durch einen Betriebsübergang erwarb. Der Kläger ist seit dem 1. September 1991 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Masseur beschäftigt. Ursprünglich wurde am 30. September 1991 zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und dem Kläger ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen, der in § 8 folgende Vereinbarung enthält:
"Ansprüche, die sich aus diesem Vertrag ergeben, erlöschen 3 Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn sie nicht vorher schriftlich geltend gemacht worden sind."
Unter dem 16. Dezember 1992 schloss der Kläger mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Zusatzvereinbarung ab, in der die Arbeitszeit reduziert wurde. Gleichzeitig wurde vereinbart:
"Die Vergütung für die vereinbarte Tätigkeit beträgt monatlich in der Gruppe BAT Vc/3 = DM 2.527,80 brutto."
Am 17. Februar 1993 schloss die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat eine "Betriebsvereinbarung zur Regelung der arbeitsrechtlichen Verhältnisse für die Angestellten, Arbeiter/-innen und Auszubildenden der Einzelfirma Seniorenzentrum D." (im Folgenden BV) ab, in der unter anderem geregelt ist:
"§ 2 Lohn und Vergütungsrichtlinien
1. Für die Angestellten nach § 1 dieser Betriebsvereinbarung gelten analog die für die Angestellten des Bundes und der Länder vereinbarten Bestimmungen des Lohn- und Vergütungstarifvertrags - BAT vom 11. Januar 1961. (...)
4. Änderungen beziehungsweise Ergänzungen der Bestimmungen der Absätze 1, 2 und 3 treten zu dem Zeitpunkt in Kraft, in denen die Änderungen beziehungsweise Ergänzungen für Angestellte, Arbeiter/-innen und Auszubildende des Bundes und der Länder gelten."
In § 3 der BV, wegen dessen weiteren Inhalts auf Blatt 27 ff. der Akte verwiesen wird, finden sich "Sonderregelungen" zur Nichtanwendbarkeit von Bestimmungen des Rahmentarifvertrages BAT, zu Krankenbezügen, Krankengeldzuschüssen, Zuwendungen bei Heirat, Geburten und im Falle des Ablebens, Jubiläums- und Weihnachtszuwendungen, Urlaubsgeld, Zeitzuschlägen und zur Dienstbefreiung am Rosenmontag. Nach § 5 der BV sollten deren Bestimmungen automatisch Bestandteil von Arbeitsverträgen werden, die vor Februar 1993 geschlossen worden waren; die betroffenen Arbeitnehmer sollten einen entsprechenden Nachtrag zum Arbeitsvertrag erhalten.
Einen solchen Nachtrag unte...