Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung einer Flugbegleiterin wegen Fluguntauglichkeit
Leitsatz (amtlich)
Ist im Kündigungszeitpunkt nach dem üblichen Lauf der Dinge, vor allem wegen der normalen personellen Fluktuation, die Prognose zu stellen, dass sich bis zum Kündigungstermin ein „leidensgerechter”, freier und geeigneter Arbeitsplatz „am Boden” für die (fluguntaugliche) Flugbegleiterin ergeben würde, ist eine gleichwohl erklärte Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozialwidrig (Anschluss an BAG, Urteil vom 26.09.1991, 2 AZR 132/91, SAE 1993, 225 ff.).
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 04.02.2004; Aktenzeichen 4 Ca 5932/03) |
Tenor
Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 04.02.2004 wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.06.2003 nicht zum 30.06.2004 aufgelöst wird.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die soziale Rechtfertigung einer Kündigung.
Die am 18.12.1956 geborene Klägerin steht seit dem 01.11.1980 in einem Anstellungsverhältnis zur Beklagten. Sie wurde als Flugbegleiterin beschäftigt. Ab Anfang 2002 war sie krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Eine fliegerärztliche Tauglichkeitsuntersuchung am 28.04.2003 ergab ihre Fluguntauglichkeit.
Mit Schreiben vom 30.06.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2004. Am 04.07.2004 hat die Klägerin beim Arbeitsgericht Düsseldorf Kündigungsschutzklage eingereicht.
Sie macht geltend, dass es bei einem Unternehmen von der Größe der Beklagten – ca. 1.200 Mitarbeiter – immer wieder freie und geeignete Arbeitsplätze am Boden gäbe, so dass die Kündigung durch ihre Weiterbeschäftigung auf einem dieser Arbeitsplätze hätte vermieden werden können.
Die Beklagte hält entgegen, dass es bei ihr zum Zeitpunkt der Kündigung keinen derartigen Arbeitsplatz gegeben habe und ein solcher auch nicht absehbar gewesen sei.
Durch Urteil vom 04.02.2004 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Klägerin das Urteil, auf das hiermit zur weiteren Sachdarstellung verwiesen wird, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an. Sie hält an der Behauptung fest, dass sie am Boden, z.B. in der Passagierabfertigung und -betreuung, weiterbeschäftigt werden könne, und trägt vor, dass die Beklagte andere fluguntaugliche Mitarbeiter auf Dauer und „ein ganzes Rudel von Schwangeren” vorübergehend am Boden beschäftige.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil gegen die Angriffe der Berufung und beantragt deren Zurückweisung.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. In der Verhandlung am 26.05.2004 hat die Kammer mit den Parteien insbes. die prognostischen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten erörtert.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist begründet. Die Kündigung vom 30.06.2003 ist mangels personenbedingter Gründe i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozialwidrig und löst daher, weil rechtsunwirksam, das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 30.06.2004 auf.
1. Nach den für die Kündigung aus Anlass einer krankheitsbedingt dauerhaften Leistungsunfähigkeit geltenden Maßstäben ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz eingesetzt werden konnte, für den keine Negativprognose zu stellen bzw. auf dem keine betrieblichen Beeinträchtigungen durch Leistungseinschränkung mehr zu erwarten sind (vgl. BAG, Urteil vom 26.09.1991,a.a.O.; BAG, Urteil vom 29.01.1997, 2 AZR 9/96, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 1997, 709; vgl. BAG, Urteil vom 06.12.2001, 2 AZR 422/00, EzA Nr. 9 zu § 1 KSchG Interessenausgleich). Weil maßgebender Beurteilungszeitpunkt für das Vorliegen eines personenbedingten Kündigungsgrundes die Zeit des Kündigungszugangs ist (BAG, Urteil vom 21.02.2001, 2 AZR 558/99, NZA 2001, 107, BAG, Urteil vom 28.02.1990, 2 AZR 401/89, AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 1990, 727) und sich insoweit die Prognose auf den Wegfall der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu beziehen hat, kommt es vorliegend darauf an, ob die Beklagte Ende Juni 2003 (Kündigungsausspruch) prognostizieren durfte, ab dem 30.06.2004 (Ablauf der Kündigungsfrist) die Klägerin auch nicht auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz (weiter-)beschäftigen zu können. Falls keine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestand bzw. abzusehen war, ist die Kündigung rechtens; andernfalls ist sie nicht „ultima ratio” gewesen.
Die Darlegungs- und Beweislast für diesen, die Kündigung rechtfertigenden Sachverhalt fällt dem Arbeitgeber zu (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Im Rahmen der abgestuften (sekundären) Darlegungspflicht wird der Arbeitnehmer gehalten sein anzugeben, ob er zur Ausübung einer anderen Arbeit bereit ist, für welche Tätigkeit (Arbeitsplatz) er sich gesundheitlich für geeignet hält und...