Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Lehrers an einer Griechischen Schule wegen des Verdachts sexueller Übergriffe gegenüber minderjährigen Schülerinnen
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Wirksamkeit einer Verdachtskündigung bei einem späteren Freispruch im Strafverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund i.S. von § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darstellen. Eine auf einen solchen Verdacht gestützte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
2. Die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Lehrers ist gerechtfertigt, wenn sich aufgrund staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen der dringende Verdacht sexueller Übergriffe gegenüber Schülerinnen ergibt.
3. Maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit der Verdachtskündigung ist der Zeitpunkt ihres Zugangs.
4. Das schließt es jedoch nicht aus, das während des Kündigungsschutzverfahrens neue Umstände zu berücksichtigen sind, die den Verdacht erhärten oder entkräften. Jedoch hängt die kündigungsrechtliche Beurteilung des in Rede stehenden Verhaltens nicht von der strafrechtlichen Bewertung des mitgeteilten Kündigungssachverhalts ab. Entscheidend ist vielmehr der mit dem Verhalten oder dem Verdacht einher gehende Vertrauensverlust. Daher führt es auch nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn der Arbeitnehmer im Strafverfahren zu einem späteren Zeitpunkt freigesprochen wird.
5. Der dringende Verdacht sexueller Übergriffe gegenüber Schülerinnen schließt es aus, dem Arbeitnehmer zuzumuten, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.
6. Die Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB ist eingehalten, wenn der Arbeitgeber nach Abschluss der Ermittlungen Akteneinsicht nimmt und die dort gewonnenen Erkenntnisse zum Anlass für den Ausspruch der Kündigung nimmt. Das gilt auch in Ansehung der Tatsache, dass die Vorwürfe schon längere Zeit bekannt waren. Denn es handelt sich um schwerwiegende Anschuldigungen, die einer genauen und umfangreichen Prüfung bedurften. In einer solchen Situation ist es nicht willkürlich, das Vorliegen der Anklageschrift abzuwarten.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 16.09.2014; Aktenzeichen 2 Ca 1117/14) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 16.09.2014 - 2 Ca 1117/14 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Vermerk:
Tenor berichtigt gemäß Beschluss.
Düsseldorf, den 20.10.2015Willms, RB'e als UdG
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der Kläger ist griechischer Staatsbürger. Er lebt seit 1973 in Deutschland. Seit 1986 war er als Grundschullehrer für die deutsche Sprache an der Griechischen Schule in Wuppertal beschäftigt. Dort sind 24 Lehrkräfte, zwei angestellte und 22 beamtete Lehrer tätig. Im Arbeitsvertrag der Parteien ist vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis deutschem Recht unterliegen soll.
Am 18.12.2008 beschwerten sich die Eltern der Schülerin H. N. darüber, dass der Kläger ihre Tochter nach deren Angaben sexuell belästigt habe, indem er sie auf den Schoß genommen und im Gesäßbereich und zwischen den Beinen gestreichelt habe. Der Kläger wurde vom Schulleiter und vom Vater der Schülerin zur Rede gestellt und gab an, die Schülerin in den Arm zu nehmen und ihr dabei ans Gesäß zu fassen. Der Vater der Schülerin kündigte an, Strafanzeige zu erstatten. Nach dem Vorfall meldeten sich im Dezember 2008 die Eltern der Schülerin P. F. und berichteten, dass sie sich schon im Jahr 2006 bei der damaligen Schulkoordinatorin über eine sexuelle Belästigung ihrer Tochter durch den Kläger beschwert hätten.
Am 06.01.2009 erstattete der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Namen und Auftrag der Väter der damals 12-jährigen Schülerin P. F. und der Schülerin H. N. Strafanzeige gegen den Kläger wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, sexuellen Missbrauchs von Kindern. Die Ermittlungen auch aufgrund der Anzeigen der Eltern der Schülerinnen D. A. und T. A. wurden bis Ende 2009 geführt. Auf Antrag des damaligen Verteidigers des Klägers wurde eine Vielzahl von Schülerinnen vernommen.
Die Leiterin des damaligen Sekundarschulwesens beim Generalkonsulat in Griechenland stellte parallel zum Ermittlungsverfahren Nachforschungen an und hörte die Kolleginnen des Klägers Frau T., Frau H., Frau W. und C. zu den Vorfällen betreffend der Schülerin F. an.
Nach Angaben der Beklagten erinnerte sich Frau T. daran, d...